Mit dem Abzug der Farc-Guerilla aus Kolumbiens Wildnis ist es im Regenwald sicherer geworden. Jetzt wird er abgeholzt, am stärksten ausgerechnet da, wo vorher die Guerilla aktiv war. Warum ist das so? Auf ZEIT ONLINE habe ich darüber geschrieben.
Drei Jahre ist es her, dass der Frieden in Kolumbien greifbar nah schien. Damals schloss die Regierung, noch unter Präsident Juan Manuel Santos, mit der Farc-Guerilla einen Friedensvertrag. Der war zwar hoch umstritten, doch nach fünf Jahrzehnten Bürgerkrieg schien er die Möglichkeit eines gewaltfreien Zusammenlebens zu eröffnen. Die Gewalt aber war nie ganz verschwunden – und gerade kehrt sie mit Macht zurück.
Die Zahl der Morde an lokalen Aktivisten, die sich für die Umwelt, die Menschenrechte und den Friedensprozess engagieren, steigt. Die Zahl der Massaker ebenfalls. Alke Jenss, die am Arnold-Bergstraesser-Institut in Freiburg zur Sicherheitslage in Kolumbien forscht, sagt: Der Staat lässt die Gewalt zu. Manchmal verursacht er sie aber auch, oder er übt sie direkt selbst aus.
Zum Beispiel im vergangenen September, als in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá ein Mann in Polizeigewahrsam ums Leben kam. Der 46-jährige Javier Ordóñez starb, nachdem Polizisten ihn mit einem Elektroschocker malträtiert und geschlagen hatten. Angeblich hatte Ordóñez, ein Familienvater, der Anwalt werden wollte, die Ausgangssperre missachtet. Er soll an Kopfverletzungen gestorben sein.
Männer wie Frauen leiden unter Krisen wie der Corona-Pandemie. Aber ihre ökonomischen und sozialen Folgen treffen Frauen fast immer härter. Das war so nach der Ebola-Epidemie in Westafrika, das war so nach der globalen Finanzkrise. Werden Ressourcen und Arbeit knapp, verlieren Mädchen ihren Platz in der Schule und Frauen Job und Einkommen. Wer Letzteres für ein Phänomen armer Gesellschaften hält, der sei an die vergangene Woche hier in Deutschland erinnert.
Elisabeth Raether, „Die Krise der Frauen“, Die ZEIT No. 18/2020, S. 8
Ich habe einen kurzen Text über die Frauen in Kolumbien beigesteuert. Weil in so einer Sammlung, die ein Panorama über die ganze Welt hinweg entfalten soll, aber naturgemäß wenig Platz für das einzelne Land ist, gibt es hier eine längere Fassung meines Stücks:
Mexiko ist viel mehr als der Drogenkrieg, von dem hier alle wissen. Das habe ich auf meiner Reise durchs Land im Sommer 2018 erfahren. Zwei Monate lang war ich unterwegs: vom Urlauberparadies Cancún bis zum Grenzzaun in Tijuana. Auf meiner Reise habe ich Musiker getroffen und Dichterinnen, die Geschichten in alten Sprachen erzählen. Weise Männer,
„In den vergangenen zehn Jahren haben sich die Morde an Frauen mehr als verdoppelt, heute zählt man jeden Monat 270 Femizide. Die Anzeigen wegen sexuellen Missbrauchs an Mädchen unter fünf Jahren haben sich mehr als verdreifacht – und das sind nur die Anzeigen. Jedes Jahr werden mehr als 11.000 Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren schwanger, nachdem sie sexualisierte Gewalt erfahren haben. Das sind Daten aus offiziellen Quellen. Wir erleben alle jeden Tag, was sie bedeuten.“
Der Schuldspruch ist gefallen; Joaquín Guzmán bleibt wohl bis zu seinem Tod in Haft. Doch Mexiko haben längst andere Bosse das Sagen. Seit El Chapo verhaftet wurde, ist die Gewalt noch schlimmer geworden. Und die Zahl der Drogentoten in den USA nicht gefallen, im Gegenteil.
Heute vor genau neun Monaten, am 10. Mai 2018, verschwand Bruno Alonso Avendaño: ein Marinesoldat aus dem Ort Tehuantepec, gelegen im Bundesstaat Oaxaca, Mexiko. Eigentlich war es ein unbeschwerter Tag, denn Bruno Avendaño hatte frei. Er fuhr nach Tehuantepec, um seine Mutter zu besuchen – und tauchte nicht wieder auf.
Bis heute gibt es keinen Hinweis darauf, was am 10. Mai 2018 mit Bruno Avendaño geschehen ist. Bis heute drängt seine Familie die Behörden, zu ermitteln. Bis heute verstehen sie nicht, was damals passiert ist und warum. Seit neun Monaten hoffen sie auf ein Lebenszeichen. Bruno ist einer von 37.000 Menschen, die in Mexiko spurlos verschwunden sind.
Lukas Avendaño ist Brunos Bruder: ein Tänzer, Anthropologe und Performancekünstler, der seine Kunst nutzt, um Aufmerksamkeit für seinen verschwundenen Bruder zu schaffen. Er drängt auf Aufklärung, wo er nur kann – auch wenn er für Auftritte im Ausland unterwegs ist: „¿Dónde está Bruno Avendaño?“ fragt er immer und immer wieder, in Interviews, auf Facebook und in seinen Performances: „Wo ist Bruno Avendaño?“.