Die Pandemie trifft Frauen oft härter als Männer. Darüber schreibt Die ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe:
Männer wie Frauen leiden unter Krisen wie der Corona-Pandemie. Aber ihre ökonomischen und sozialen Folgen treffen Frauen fast immer härter. Das war so nach der Ebola-Epidemie in Westafrika, das war so nach der globalen Finanzkrise. Werden Ressourcen und Arbeit knapp, verlieren Mädchen ihren Platz in der Schule und Frauen Job und Einkommen. Wer Letzteres für ein Phänomen armer Gesellschaften hält, der sei an die vergangene Woche hier in Deutschland erinnert.
Elisabeth Raether, „Die Krise der Frauen“, Die ZEIT No. 18/2020, S. 8
Ich habe einen kurzen Text über die Frauen in Kolumbien beigesteuert. Weil in so einer Sammlung, die ein Panorama über die ganze Welt hinweg entfalten soll, aber naturgemäß wenig Platz für das einzelne Land ist, gibt es hier eine längere Fassung meines Stücks:
Bogotá: Mehr Hilferufe per Telefon
Camila Esguerra schläft kaum noch, seit die Regierung Kolumbiens am 25. März das Land in eine strenge Quarantäne schickte. Seither dürfen die Menschen nicht mehr aus dem Haus, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Polizei und Militär kontrollieren. Und der Tag von Esguerra, die an der Päpstlichen Javeriana-Universität in Bogotá darüber forscht, wie Gender, Migration und Care-Arbeit zusammenhängen, hat nicht mehr genug Stunden für all die Arbeit.
Frauen tragen schwerer an den sozioökonomischen Folgen der Pandemie als Männer, auch in Lateinamerika. Vor allem Frauen erledigen hier die Hausarbeit, kümmern sich um die Kinder, versorgen kranke und alte Angehörige. Und die allermeisten Pflege- und Putzkräfte in den Kliniken sind Frauen. Sie tragen ein besonders hohes Ansteckungsrisiko.
In Bogotá, Kolumbiens Hauptstadt, kann man am Wohnviertel ablesen, wie stark die Pandemie die Frauen trifft. Die Wohlhabenden leben im Norden und Osten. Sie haben eher Schreibtischjobs und arbeiten im Homeoffice. Manche haben ihre Haushaltshilfen genötigt, jetzt ganz bei ihnen einzuziehen. Wollten die Hausmädchen ihren Job behalten, mussten sie ihre eigenen Familien für die Dauer der Ausgangssperre verlassen.
Besonders hart ist die Pandemie für die Ärmsten: für Obdachlose, Migranten, Arbeitslose, Tagelöhner, Prostituierte. Frauen aber sind in Kolumbien häufiger arm als Männer. Sie arbeiten besonders oft in schlecht bezahlten, prekären Jobs oder ausgerechnet in den Branchen, die gerade komplett stillgelegt wurden. Und weil vor allem Männer während des Bürgerkriegs starben, während die Frauen versehrt überlebten, gibt es im Land viel mehr Mütter, die ihre Familien alleine versorgen müssen, als in den Nachbarländern.
Camila Esguerra ist weder arm noch reich. Sie lebt mit ihrem Partner, einer Tante und zwei Geschwistern in einem Mehrfamilienhaus. Ihr Einkommen ernährt die Familie. Vor dem 25. März delegierte sie einen Teil der Hausarbeit an eine Haushaltshilfe und einen Gärtner. Jetzt zahlt sie den beiden weiter ihren Lohn – und erledigt die anfallende Arbeit selbst mit ihren Geschwistern nebenher. Ein Kraftakt, sagt Esguerra. „Mein Tag ist gerade doppelt so lang wie früher.“
Für andere ist die Pandemie aber nicht nur anstrengend, sondern lebensgefährlich. Studien zeigen, dass die Gewalt gegen Mädchen und Frauen in Krisenzeiten zunimmt – gerade zu Hause, warnt António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen. Denn während der Ausgangssperre sind die Frauen mit den Tätern eingeschlossen und können nicht weg.
In Bogotá betreibt die Stadtregierung das Hilfstelefon línea purpura. Seit Beginn der Quarantäne hat sich die Zahl der Anrufe dort mehr als verdreifacht. Und auch draußen ist es nicht sicher: Esguerra sagt, seit Frauen und Männer in Bogotá nur noch abwechselnd auf die Straße dürfen, steige die Zahl der Berichte über Frauen, die von Polizisten und Soldaten sexuell belästigt wurden. Gerade hat Kolumbiens Regierung die Ausgangssperre bis zum 10. Mai verlängert.
Camila Esguerra und andere Expert*innen, mit denen ich für meinen Text gesprochen habe, sind allesamt Akademiker*innen. Sie leben in Bogotá, der Hauptstadt, sie haben (noch) Arbeit, die sie zu Hause im Home-Office erledigen können. Im Zweifel haben sie in der Hauptstadt wohl auch die Chance auf eine gute medizinische Versorgung.
Quibdó: „Die Frauen sind Kriegerinnen“
Anders ist die Lage in den abgelegeneren Regionen des Landes. Nur ein paar Stunden nach Redaktionsschluss erreichten mich ein paar Audio-Statements von Frauen aus Quibdó, der Hauptstadt des Departements Chocó an der Pazifikküste. Die Gegend ist abgelegen und über Straßen nur schlecht erreichbar, Flüsse sind die Hauptverkehrswege. Die medizinische Versorgung ist schlecht, zu Hause bleiben kaum möglich, weil viele Menschen von der Hand in den Mund leben. Sie müssen täglich raus, Geld verdienen, oder sie hungern. Und auch ohne Pandemie ist das Leben im Chocó gefährlich, weil dort bewaffnete Milizen die Bevölkerung terrorisieren. Es gibt viele Vertriebene – und viele vertriebene Frauen.
Ursula Holzapfel aus Deutschland lebt seit Jahrzehnten in Quibdó und arbeitet dort – finanziert von der katholischen Kirche – mit solchen Frauen. Sie begleitet Überlebende der Gewalt. Jetzt wegen der Corona-Pandemie nach Deutschland zurückzukehren war für sie keine Option, sagt sie:
Meine Aufgabe ist hier vor Ort, und das eben nicht nur im „Normalfall“ – der hier wiederum so gut wie nie gegeben ist – sondern besonders dann, wenn es schwierig ist und ich meine Unterstützung in der psychosozialen und spirituellen Begleitung der Menschen, die Gewalt erlebt haben, in besonderer Weise anbieten kann und für diese Menschen da sein kann.
Die Auswirkungen der Pandemie auf den Alltag der Frauen beschreibt sie so:
Seit dem 20. März wurden die Menschen dazu aufgerufen, sich freiwillig zu isolieren, seit dem 24. März ist diese präventive Isolation für das ganze Land obligatorisch und zunächst bis zum 26. April verordnet. Jede Person darf einmal pro Woche für die Besorgung und Erledigung lebenswichtiger Dinge wie Arztbesuche oder Lebensmitteleinkäufe die Wohnung verlassen. Damit nicht alle am selben Tag vor die Tür gehen, werden die Ausgangstage über die Endnummern der Personalausweise geregelt, die Tagesszeit richtet sich nach dem Geschlecht: Frauen dürfen vormittags raus und Männer am Nachmittag. Das hat leider zur Folge, dass die Frauen keine Transportmöglichkeiten finden – die normalerweise von Männern angeboten werden – und deshalb die weiten Wege mit ihrem Einkauf zu Fuß zurücklegen müssen.
Ursula hat mir die Statements der Frauen geschickt, die ich hier dokumentiere:
Für die Frauen ist die Zeit, die wir gerade erleben, sehr schwierig. Wirtschaftlich trifft es uns hart. Denn die meisten Frauen haben informelle Jobs. Manche Arbeitsplätze sind wegen der Gegenmaßnahmen verschwunden. Es ist sehr hart, uns daran anzupassen. Ich würde die Frauen in dieser Pandemie-Zeit mit drei Worten beschreiben: Sie sind Kriegerinnen, in jeder Hinsicht, tolerant, und sie sind Strateginnen.
Gloria Álvarez, 45 Jahre, hat drei Töchter und drei Enkel
Die Quarantäne ist für mich ein wenig schwierig. Zwar verbringe ich mehr Zeit mit meinen Kindern und kann mich mit Freundinnen treffen, um die Hausarbeiten zu erledigen. Aber jedes Mal, wenn ich auf die Straße muss, wird es schwierig. Ich versuche immer, sehr vorsichtig zu sein. Möglichst wenige Menschen zu berühren. Alles so schnell wie möglich zu erledigen, damit ich schnell wieder zu Hause bin.
Und jedes Mal komme ich mit der Angst zurück: Mein Gott, hoffentlich bin ich niemandem begegnet, der das hat. Denn da sind ja meine Kinder, da ist meine Tochter, die Atemprobleme hat. Falls sie sich anstecken sollte, wäre das viel zu schwer für sie. Deshalb habe ich immer Angst, mich anzustecken. Ich ziehe meine Kleider gleich an der Tür aus und gehe direkt ins Bad, ich dusche und lege die Kleidungsstücke in die Sonne. Ich habe so etwas noch nie erlebt, und es ist schwer für mich.
Amor Dailester Chaverra, 29 Jahre, hat eine Tochter und einen Sohn
Als Frau hat man jetzt Angst, aber auch viel Mut, um dieser Situation entgegenzutreten. Frauen sind jetzt Beschützerinnen, sie sind vorsichtig, aber sie haben viel Hoffnung. GOTT IST MIT UNS. Ich schütze mich und meine Familie.
Rubiela Quinto, 50 Jahre, hat drei Töchter und vier Enkel (Großbuchstaben im Original)