Heute vor genau neun Monaten, am 10. Mai 2018, verschwand Bruno Alonso Avendaño: ein Marinesoldat aus dem Ort Tehuantepec, gelegen im Bundesstaat Oaxaca, Mexiko. Eigentlich war es ein unbeschwerter Tag, denn Bruno Avendaño hatte frei. Er fuhr nach Tehuantepec, um seine Mutter zu besuchen – und tauchte nicht wieder auf.

Bis heute gibt es keinen Hinweis darauf, was am 10. Mai 2018 mit Bruno Avendaño geschehen ist. Bis heute drängt seine Familie die Behörden, zu ermitteln. Bis heute verstehen sie nicht, was damals passiert ist und warum. Seit neun Monaten hoffen sie auf ein Lebenszeichen. Bruno ist einer von 37.000 Menschen, die in Mexiko spurlos verschwunden sind.

Lukas Avendaño ist Brunos Bruder: ein Tänzer, Anthropologe und Performancekünstler, der seine Kunst nutzt, um Aufmerksamkeit für seinen verschwundenen Bruder zu schaffen. Er drängt auf Aufklärung, wo er nur kann – auch wenn er für Auftritte im Ausland unterwegs ist: „¿Dónde está Bruno Avendaño?“ fragt er immer und immer wieder, in Interviews, auf Facebook und in seinen Performances: „Wo ist Bruno Avendaño?“.

Lukas Avendaño – Foto: Mario Patiño

In Barcelona setzte er sich im vergangenen Sommer vors mexikanische Konsulat, auffällig in der prachtvollen Tracht der Zapotekinnen gekleidet. Ein wenig erinnert seine Inszenierung an Frida Kahlos Gemälde „Die zwei Fridas“, in der die Malerin und ihr Ebenbild ähnliche Kleidung trugen. Neben Lukas stand ein leerer Stuhl, auf dem zwar immer wieder Unterstützerinnen und Unterstützer Platz nahmen. Dennoch symbolisierte das Möbelstück ganz klar und unübersehbar die eine große, drängende Frage: Wo ist Bruno Avendaño?

Lukas Avendaño/ Buscando a Bruno from Lukas Avendaño on Vimeo.

Lukas‘ Aktionen verschaffen dem Fall seines Bruders Aufmerksamkeit. Eine Antwort auf die Frage nach dessen Verbleib aber haben sie bis heute nicht gebracht. „Seguimos buscando a Bruno, porque nadie merece desaparecer“, sagt Lukas: „Wir suchen weiter nach Bruno, denn niemand verdient es, zu verschwinden.“ Die Familie klagt an: Die Verantwortlichen in den Behörden des Isthmus von Tehuantepec unternähmen viel zu wenig – zu langsam – zu spät.

Lukas weiß, dass sein Bruder nur einer von vielen Tausenden Verschwundenen in Mexiko ist. Er erinnert in seiner Kunst auch an sie – und an die zahlreichen anderen Toten, die anderswo auf der Welt auf der Suche nach einem besseren Leben umkommen. Er schreibt mir: „Bruno ist in jeder einzelner unserer Erinnerungen, in unseren Gebeten, in unseren guten Wünschen, (…) in den Knochen jedes Massengrabs in diesem Land und in jeder Leiche, die im offenen Meer schwimmt, weil sie versucht hat, festes Land zu erreichen“.

Trotz aller Anstrengungen von Lukas, seiner Familie und seinen Unterstützern: Bislang bleibt Bruno unauffindbar.