Sie sagen, sie befänden sich auf einem Kreuzweg. Aber es sind keine religiösen Pilger, sondern Migranten, eine große Gruppe aus über tausend, manchen Medien zufolge sogar 1.500 Personen. Zu ihr gehören Männer, Frauen, allein reisende Kinder, Junge und Alte, Kräftige und körperlich Schwache, aus Honduras, El Salvador, Nicaragua und Guatemala. Sie wandern zu Fuß durch den Süden Mexikos, auf der Flucht vor Gewalt, Armut und Aussichtslosigkeit, und sie hoffen auf Asyl oder zumindest die Anerkennung als Flüchtlinge. Manche wollen in Mexiko bleiben. Andere zieht es in die USA.

Zum Beispiel Katerin Gisel García, von deren Geschichte die mexikanische Zeitung El Universal berichtet: Sie hat sich mit ihren beiden Söhnen auf den Weg gemacht, der eine sechs Monate alt, der andere zwei Jahre. In ihrem Heimatland Honduras verkaufte sie Schmuck. Dann verlangten die kriminellen Banden, die das Land kontrollieren, Schutzgeld von ihr. In einem Boot floh sie mit ihren Jungen nach Mexiko, doch die Flüchtlingskommission Comar lehnte ihr Schutzgesuch ab. Jetzt gehen Katerin und ihre Söhne den Kreuzweg.

Oder Karen aus Honduras, die ihren Nachnamen nicht nennen möchte und ebenfalls mit zwei Kindern unterwegs ist: „Die Kriminalität ist so schlimm, man kann dort nicht leben“, sagte sie einem Reporter von Buzzfeed. „Es gab Tote, Gangs, ausgeraubte Häuser, Erwachsene und Kinder wurden zusammengeschlagen.“ Aus Honduras kommt auch Misael Bonilla, der mit seiner Familie reist. „Wir liefen vor der Kriminalität weg“, sagte er einer CNN-Reporterin, „und dann ist da noch die politische Situation.“ Eine Anspielung auf den Präsidenten. Das ohnehin von Gewalt zerrissene Honduras ist noch unsicherer geworden, seit der von den USA unterstützte Präsident Juan Orlando Hernández trotz Manipulationsvorwürfen im Amt bestätigt wurde.

Trumps Tweets

Noch befindet sich die Gruppe im Bundesstaat Oaxaca in Südmexiko. Viel weiter im Norden, in den USA, sorgte die Nachricht von ihrem Marsch am Osterwochenende dennoch für Aufregung. Präsident Donald Trump griff sie auf. Mexiko tue im Grunde nichts, um Menschen davon abzuhalten, vom Süden her zunächst nach Mexiko und dann in die USA einzuwandern, twitterte er am Osterwochenende. „Sie lachen über unsere dummen Einwanderungsgesetze.“ Später sagte er am Rande eines Gottesdiensts: „Sie schicken sie in die Vereinigten Staaten. Das muss aufhören.“

Wegen der Prozession der Migranten forderte der Präsident Kongress erneut auf, schärfere Einwanderungsgesetze zu erlassen, um den „massiven Zustrom von Drogen und Menschen“ zu stoppen. Er attackierte das von seinem Vorgänger Barack Obama erlassene Daca-Programm, das Hunderttausende als Kinder in die USA eingewanderte Migranten vor einer Abschiebung schützt, und nannte es „tot“. Und er drohte der mexikanischen Regierung, das Freihandelsabkommen Nafta endgültig aufzukündigen, sollte sie nicht strenger gegen Migranten vorgehen.

Dabei hat Mexiko – mit Geld aus den USA und auf deren Drängen – seine Grenzkontrollen im Süden bereits verstärkt. „Trumps Vorschlag, die Hilfe für Mexiko zu kürzen, würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das Land weniger in der Lage ist, den Strom von Migranten und Drogen zu begrenzen, die über seine Grenzen kommen“, schreibt deshalb die Washington Post.

Kreuzwege seit zehn Jahren

Durch die Tweets des US-Präsidenten ist der Kreuzweg der Migranten zu einer internationalen Affäre geworden. Dabei gibt es solche Märsche schon lange. Jährlich versuchen Hunderttausende Zentralamerikanerinnen und Zentralamerikaner, nach Mexiko und weiter in die USA zu gelangen. Genaue Zahlen sind schwer zu bestimmen, doch der Thinktank Crisis Group schätzt, dass jedes Jahr bis zu 400.000 „irreguläre Migranten“ über die südliche Grenze nach Mexiko einwandern. Im Jahr 2015 hätten die mexikanischen Behörden fast halb so viele Migranten ohne Papiere festgenommen, nämlich 190.000. Viele andere verschwinden auf ihrem Weg weiter nach Norden spurlos.

Die mexikanische Nachrichtenseite SinEmbargo schreibt: „Diese Karawanen, die als ‚Migranten-Kreuzweg‘ bekannt sind, werden in Südmexiko seit etwa zehn Jahren veranstaltet.“ Meist kämen die Prozessionen aber nicht weiter nördlich als in den Bundesstaat Veracruz, der am Golf von Mexiko liegt. Es sind vor allem politische Demonstrationen für die Rechte der Migranten – und zu ihrem Schutz. Die Leute tun sich in Südmexiko zusammen, um sich gegenseitig vor Raub, Entführung, korrupten Beamten oder der Gewalt der Drogenkartelle zu bewahren.

Die ersten Kreuzweg-Prozessionen der Migranten seien entstanden, um zu Ostern gegen die Gewalt zu protestieren, schreibt SinEmbargo. Auch der Marsch, der den Ärger von Donald Trump hervorrief, ist eine solche politische Demonstration. Initiiert wurde er von einer Gruppe namens Pueblo Sin Fronteras, Volk ohne Grenzen, die schon früher ähnliche Kreuzwege veranstaltete. „Wir Migranten sind keine Kriminellen, wir sind internationale Arbeiter!“, riefen die Teilnehmer des Marschs, als sie am Palmsonntag dem ersten Grenzposten in der Nähe der südmexikanischen Stadt Tapachula überquerten. „Warum bringen sie uns um, wenn wir doch die Hoffnung Lateinamerikas sind?“

Mexiko kontrollierte nicht

Mexikanische Medien berichteten, in Tapachula habe die Einwanderungsbehörde INM die Gruppe durchgelassen, ohne zu kontrollieren. Allein die Zahl der anrückenden Menschen habe die Grenzbeamten veranlasst, ihren Posten vorübergehend zu räumen, schrieb der Reporter Adolfo Flores auf Buzzfeed.

Inzwischen aber stellte Mexikos Regierung – wohl als Reaktion auf die Tweets von Donald Trump – klar, sie werde die irreguläre Migration unter keinen Umständen unterstützen. Die jährlichen Kreuzwege betrachte man als Demonstrationen, „welche die Aufmerksamkeit auf das Phänomen der Migration lenken sollen und darauf, wie wichtig es ist, die Rechte der zentralamerikanischen Migranten zu respektieren“. Die Regierung der Vereinigten Staaten sei darüber umfassend informiert worden.

Der Buzzfeed-Reporter Flores begleitet den Kreuzweg und berichtet darüber auch auf Twitter. Ihm zufolge übernachten die Migranten auf Sportplätzen und dürften sich in den Ortschaften oft nicht frei bewegen. Manche Gemeinden stellten ihnen Busse für den Transport zum nächsten Ort zur Verfügung, aber wohl nicht aus Nächstenliebe. „Ich denke, dass sie eher daran interessiert sind, die Leute von ihren öffentlichen Plätzen wegzubekommen.“

Wie es mit dem Kreuzweg nach Oaxaca weitergeht, ist derzeit unklar. Ursprünglich wollten die Teilnehmer mit einem Güterzug weiter nach Norden reisen und sich dann in Puebla, nicht weit entfernt von Mexiko-Stadt, mit Anwälten treffen. Doch die Reise mit dem Zug scheint nicht geklappt zu haben; angeblich hat die Betreiberfirma die Fahrten vorübergehend eingestellt, als sie von dem Kreuzweg hörte.

Humanitäre Visa für die Schwachen

Mexikanische und US-Medien berichten, dass Mexikos Regierung den schwächsten Teilnehmern – beispielsweise Schwangeren, chronisch Kranken, Behinderten – humanitäre Visa versprochen habe. Alle anderen müssten in Mexiko eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen oder das Land innerhalb weniger Tage verlassen.

Etwa 200 Männer hätten am Sonntag entschieden, auf eigene Faust weiterzureisen, schreibt SinEmbargo. Die Organisation Pueblo Sin Fronteras wolle den Kreuzweg nur noch bis nach Puebla fortsetzen, mit weniger Teilnehmern. „Die Karawane ist praktisch am Ende. Die Teilnehmer haben keine Mittel, um in Massen bis zur Grenze mit den USA weiterzumarschieren.“

Dem US-Präsidenten scheint das egal; er nutzt den Marsch dennoch für seine politischen Zwecke und setzte am Dienstag noch einen drauf. Auf einer Pressekonferenz kündigte er an, Soldaten an die Grenze zu schicken. „Bis wir eine Mauer und die angemessene Sicherheit haben können, werden wir unsere Grenze mit dem Militär bewachen.“ Es gehe nicht um reguläre Truppen, präzisierte das Weiße Haus später, man werde Freiwillige der Nationalgarde entsenden.

Hinweis: Der Text wurde zuerst auf ZEIT ONLINE veröffentlicht.