Es scheint, als rechne Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos selbst nicht mehr damit, am kommenden Sonntag wieder ins Amt gewählt zu werden. Wie sonst ließe sich die Geschwindigkeit erklären, mit der er die Friedensgespräche mit der FARC vorantreibt? Heute verkündete seine Regierung den nächsten Schritt: Sie verhandelt ab sofort auch offiziell mit der kleineren Guerilla ELN.

Seit Januar lote man die Möglichkeiten aus, melden die Nachrichtenagenturen. Im Moment gehe es noch darum, Ablauf und Inhalt der Verhandlungen festzulegen. Beide Parteien seien sich aber einig, dass man über die Opfer des Bürgerkrieges und die Teilhabe der Gesellschaft am Friedensprozess reden müsse.

Das wirkt, als wolle Santos bis zum 7. August noch möglichst schnell möglichst viele Fakten schaffen. Gelingt ihm die Wiederwahl nicht, muss Santos an diesem Tag das Amt an sein Nachfolger Óscar Iván Zuluaga übergeben. Der hat schon angekündigt, nur unter strikten Bedingungen mit der FARC verhandeln zu wollen. Außerdem erklärt er, sich überhaupt nicht an bisherige Verhandlungsergebnisse gebunden zu fühlen.

Es ist reine Spekulation, aber: Je mehr Santos jetzt noch festzurrt, desto schwerer könnte es dem nächsten Präsidenten politisch fallen, einmal Beschlossenes so ohne Weiteres wieder aufzukündigen. Vermutlich will Santos durch die raschen Fortschritte der letzten Tage aber auch belegen, wie wichtig im der Frieden ist – in der Hoffnung, dadurch im Kampf um das Präsidentenamt doch noch einen Sieg zu erringen.

Die kolumbianischen Guerillagruppen sind übrigens lange nicht mehr so groß wie früher. Die FARC soll noch etwa 8.000 Kämpfer unter Waffen haben, die ELN rund 2.500 Personen. Im kolumbianischen Konflikt, der schon seit mehr als einem halben Jahrhundert andauert, sollen mindestens 220.000 Menschen gestorben sein. Mehr als fünf Millionen sind Vertriebene im eigenen Land. Und, das macht die Friedensgespräche von Juan Manuel Santos (und seinen Wahlkampf) so schwierig: Die Kämpfe dauern an, obwohl auf Kuba seit anderthalb Jahren über einen Friedensvertrag verhandelt wird

Viele Kolumbianer werden wohl Zuluaga wählen, weil sich sich einen starken Mann an der Spitze des Staates wünschen, der ihnen zumindest vermeintlich mehr Sicherheit bringt. Im Moment spricht vieles für seinen Sieg am kommenden Sonntag.