Deyanira Rodriguez – lange schwarze Haare, feine Gesichtszüge, offener Blick, Mutter dreier Kinder – ist eine selbstbewusste Frau mit einer harten Geschichte. Einer Geschichte, die in Kolumbien aber nicht ungewöhnlich ist. Millionen andere haben Ähnliches durchgemacht.
Deyanira stammt sie aus der Departement Arauca, im Osten des Landes. Ihre Familie lebte auf dem Land, aber sie wurden von Bewaffneten vertrieben. Mit ihrer Mutter, Geschwistern und zwei Kindern – das dritte war noch nicht geboren – floh Deyanira ins Departement Norte de Santander. Um die Familie durchzubringen, ackerte sie als Hilfsarbeiterin auf dem Bau. Heute hat sie eine neue Familie gegründet. Und sie hatte Glück: Unter den vielen Tausend Vertriebenen der Region gehörte sie zu den wenigen, die für den verlorenen Besitz entschädigt wurden.
Mit ihrem Ehemann betreibt Deyanira eine kleine Landwirtschaft im Dorf El Carmen, im äußersten Osten Kolumbiens, nahe der Grenze zu Venezuela. Sie bauen Zuckerrohr an und machen daraus Panela, eine Süßspeise, die durch das Trocknen der Zuckermelasse entsteht. Die Kinder gehen noch zur Schule. Was die Finca abwirft, reiche nicht immer zum Überleben, sagt Deyanira. Dann verdingen sich ihr Mann oder ihre Brüder als Tagelöhner auf benachbarten Höfen.
Deyanira ist eine lideresa, eine Anführerin ihrer Dorfgemeinschaft, und sie steht der Vereinigung der vertriebenen Familien vor. Ihrem Mann ist das nicht immer Recht: „Er findet, ich verschwende zu viel Zeit in Sitzungen“, sagt sie. „Die meisten unserer Frauen beschränken sich darauf, zuhause zu bleiben und für die Familie zu sorgen. Aber ich will, dass meine Kinder stolz auf mich sein können. Sie sollen etwas von mir lernen.“ Deshalb setze sie sich durch. „Und wenn ich verreisen muss, achte ich darauf, ihm nicht zu viel Arbeit zurückzulassen.“
Manchmal bedeutet das durchwachte Nächte für beide, sagt die lideresa: „Dann stehen wir um zwei Uhr nachts auf und mahlen das Zuckerrohr. Das ist eine schwere Arbeit, die einer alleine nicht schaffen kann. Nur so gewinne ich die Zeit, um wegzufahren.“
Am gestrigen Samstag traf Deyanira sich mit den Führern anderer Dorfgemeinschaften bei der Caritas in der Departementshauptstadt Cúcuta, um einer Gruppe deutscher Parlamentarier über ihren Alltag im Konfliktgebiet zu berichten. Seit sie denken können, leben sie mit der Gewalt. Können Sie sich den Frieden überhaupt vorstellen? Wie sähe der aus?
„Wir müssten von der Landwirtschaft leben können, damit unsere Jugend andere Perspektiven hat als den Kokainanbau„, sagt Deyanira. „Wir Campesinos brauchen Unterstützung vom Staat: Billige Kredite, Technik, Infrastruktur“, ergänzt Juan Carlos Madariaga, ein anderer líder. „Und wir brauchen Bildung. Wir müssen unsere eigenen Ärzte und Lehrer ausbilden. Wer von außen zu uns kommt, bleibt eh nicht lange. Wer soll sich um uns kümmern, wenn nicht wir selbst?“
Alle hier wünschen sich, dass der Friedensprozess fortgeführt wird, den Präsident Juan Manuel Santos begonnen hat. Es ist die große Entscheidung der aktuellen Präsidentschaftswahl am heutigen Sonntag: Behält Santos das Amt? Oder wird sein Herausforderer Óscar Iván Zuluaga, der den Friedensverhandlungen kritisch gegenübersteht, neuer Präsident?
Seit ungefähr einer Stunde sind die Wahllokale geöffnet. Auch Deyanira würde gerne ihre Stimme abgeben, „für den Frieden“, wie sie sagt. Aber das nächste Wahllokal befindet sich in Cúcuta, drei Stunden Weg von ihrem Dorf entfernt. Vermutlich wird deshalb nur ihr Mann zur Wahl gehen können, sagt Deyanira. Diesmal muss sie bei den Kindern bleiben.