Eine Woche ist es noch bis zum entscheidenden Tag der kolumbianischen Präsidentschaftswahlen – und gerade hat sich bestätigt: Es wird ein ganz knappes Rennen. Drei neue Umfragen sehen die beiden Kandidaten Juan Manuel Santos und Óscar Iván Zuluaga mehr oder weniger gleichauf.
Am erfreulichsten für den amtierenden Präsidenten Santos sind noch die Ergebnisse einer Datexco-Umfrage im Auftrag der Tageszeitung El Tiempo und des Senders W Radio. Datexco sieht Santos bei 41,9 und seinen Rivalen Zuluaga bei 37,7 Prozent. Fast 14 Prozent der Befragten wollen ungültige Stimmzettel abgeben, knapp sechs Prozent äußerten sich unentschieden. Das heißt: Ein Fünftel der Wähler sind von keinem der beiden Kandidaten überzeugt.
Das sind vier Prozentpunkte Vorsprung für Santos. Aber weil solche Umfragen immer auch mit Fehlern behaftet sind, kann sich der Vorteil am Wahltag schnell in Luft auflösen. Und die Ergebnisse sind widersprüchlich: Obwohl Datexco Santos vorne sieht, glaubt die Mehrheit der hier Befragten, dass sein Herausforderer die Wahl gewinnt. Zuluaga würde auch in Bogotá eine Mehrheit holen – behält Datexco recht, wäre das historisch. Angeblich gab es in der Geschichte Kolumbiens noch keinen Präsidenten, der die Hauptstadt verlor.
Die Meinungsforscher von Gallup hingegen sehen Zuluaga mit 48,5 Prozent leicht im Vorteil gegenüber Santos mit 47,7 Prozent – aber der Unterschied ist so gering, dass er praktisch nichts bedeutet. Und die Konkurrenz von Ipsos gibt Zuluaga 49, Santos aber nur 41 Prozent.
Vieles spricht also für Zuluagas Sieg. Das ist interessant, weil die veröffentlichte (Print-)Meinung nahezu geschlossen gegen ihn steht. Die Zeitungen El Espectador und El Tiempo sowie die Zeitschrift Semana schreiben seit Wochen gegen den Kandidaten an.
Juan Manuel Santos, das kleinere Übel
Zwar scheinen die Intellektuellen – Journalisten und Wissenschaftler – auch von Santos nicht überzeugt, aber im Zweifel gilt er ihnen als das kleinere Übel. Santos hat den Ruf, ein Politiker ohne klare Konturen zu sein, einer, der es allen Recht machen will, und darüber seine Glaubwürdigkeit verliert. Zudem gilt er als Vertreter der alten Elite Bogotás: einer Hauptstadtoligarchie, die sich nicht wirklich um die Verhältnisse im Land schert. Aber unter seiner Regierung wuchs die Wirtschaft, die (offizielle) Arbeitslosigkeit sank – und Santos hat einen Friedensprozess begonnen und die Verhandlungen mit der FARC-Guerilla entscheidend vorangebracht.
Das bedeutet noch lange nicht, dass der Frieden nahe wäre. Aber Santos verhandelt, er sucht den Dialog.
Zuluaga sagt zwar auch, er werde verhandeln – aber nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Vor allem aber will er die Zahl der Sicherheitskräfte im Land erhöhen, ganz nach dem Vorbild seines Mentors, des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe. Viele fürchten deshalb, dass Kolumbien durch einen Sieg Zuluagas in die Zeit Uribes zurückfallen könnte. Statt Versöhnung zu suchen und den politischen Gegner (sprich: die FARC) ins politische Leben zu integrieren, würde der neue Präsident die Gesellschaft aufrüsten. Die Verhandlungen in Havanna würden platzen, der Konflikt aggressiver, es würde noch mehr Tote geben, vielleicht auch in Bogotá.
Santos steht für den Frieden, Zuluaga und Uribe suchen den Krieg – das ist genau das Mantra, das der amtierende Präsident im Wahlkampf immer und immer wieder verkündete. Bloß scheint die Mehrheit der Wähler nicht daran zu glauben. Es sind auch nicht nur die Reichen, die Zuluaga wählten, zum Beispiel weil sie – wie das Klischee es will – nichts von ihrem Wohlstand abgeben wollten.
„Ich bin für den Frieden. Aber nur unter bestimmten Bedingungen“
Zuluaga bekommt viele Stimmen aus dem Volk. Der Taxifahrer zum Beispiel, der mich heute früh zu einem Termin brachte, wird Zuluaga wählen. Er sagte:
Ich habe eine Finca außerhalb Bogotás. Unter Uribe war der Weg dorthin sicher. Heute nicht mehr. Die FARC ist wieder da und erpresst Schutzgeld. Ich bin für den Frieden, ich finde Verhandlungen gut. Aber nur unter bestimmten Bedingungen.
Soll heißen: Die FARC soll ihre Kampfhandlungen und Attentate einstellen; sie soll aufhören, neue Mitglieder (vor allem Kinder) zu rekrutieren; sie soll keine Minen mehr verlegen und der Regierung Auskunft darüber geben, wo sie ihre Minen bisher vergraben hat. Das sind die Bedingungen Zuluagas.
Es mag (Verzeihung!) abgedroschen sein, dass Journalisten Taxifahrer zitieren. Aber dieser spricht vielen Kolumbianern aus der Seele. Umfragen zeigen: Die Mehrheit im Land ist für Friedensverhandlungen. Aber die Mehrheit ist auch gegen ehemalige FARC-Guerilleros im Parlament. Santos‘ Art des Dialogs geht vielen zu weit.
Frieden ja – aber mit welchen Folgen?
Was ein Sieg Zuluagas für den Friedensprozess bedeuten würde, ist damit noch lange nicht klar. Viele sagen, seine Bedingungen kämen einer Kapitulation der Guerilla gleich. Die FARC werde das nie akzeptieren. Andere treibt die Sorge um, Zuluaga werde die Friedensgespräche auf Kuba umstandslos abbrechen.
Aber ist Zuluagas Position tatsächlich unabänderlich? Es gibt einen starken internationalen Druck, die Verhandlungen weiterzuführen. Als Álvaro Uribe an der Regierung war, gab das Ausland – allen voran die USA – viel Geld für den Kampf gegen die Guerilla und die Drogenbanden. Heute gibt es kaum noch Militärhilfe. Aber hohe Summen – auch aus Deutschland – fließen in die Versöhnungsarbeit, zum Beispiel in die Reintegration von ehemaligen Guerilleros, oder in die Entschädigung der Opfer des Bürgerkriegs. Manche sagen, der künftige Präsident Kolumbiens könne es sich gar nicht leisten, die Friedensverhandlungen platzen zu lassen.
Die zweite große Frage ist: Würde sich die Guerilla letztlich vielleicht doch auf Zuluagas Bedingungen einlassen? Darauf gibt es in diesen Tagen in Bogotá ungefähr so viele Antworten wie Gesprächspartner. Einer sagte mir, der FARC bleibe gar nichts anderes übrig. Sie sei viel zu geschwächt, um sich wieder ganz in die militärische Auseinandersetzung zu begeben, und ihre Anführer in einem Alter, in dem sie schon aus eigenem Interesse einen politischen Ausweg aus dem Bürgerkrieg suchten.
Möglicherweise geht es also gar nicht so sehr darum, ob die Verhandlungen in Havanna weitergehen – sondern darum, in welcher Form, und mit welchen politischen Konsequenzen. Unter Santos, schreibt die Journalistin Juanita León auf dem Internetportal La Silla Vacía, bekäme die FARC die Chance, sich politisch zu engagieren. Ihre Positionen könnten die kolumbianische Politik verändern, sie möglicherweise demokratischer machen. Unter Zuluaga aber blieben die Ursachen des Konflikts praktisch unangetastet.
Das klingt alles sehr rational. Aber für einen Poltiker wie Uribe, heißt es, spiele die Vernunft nur eine untergeordnete Rolle – und Uribe ist die treibende Kraft hinter Zuluagas Kampagne sowie die Referenzfigur für viele seiner Wähler.
Die Leute möchten Uribe zurück. Sie denken an die Vergangenheit. Aber sie überlegen nicht, ob Uribes Art der Politik auch für die Zukunft taugt,
sagte mir eine Freundin.
So scheint im Moment alles möglich. Die Unsicherheit darüber, wie es für Kolumbien weitergeht, ist groß. Und selbst wenn der Wahlsieger am Nachmittag des 15. Juni feststeht, wird sie nicht verschwunden sein.