In den Jahrzehnten des Konflikts sind in Kolumbien Zehntausende Menschen verschwunden. Oder vielmehr: Man hat sie verschwinden lassen. „Desaparecer“, verschwinden, ist im lateinamerikanischen Spanisch nichts, was einfach so passiert. Es ist ein Gewaltakt, ein Verbrechen, das man einem anderen Menschen antut.

Wie viele Verschwundene es in Kolumbien gibt, weiß keiner so genau. Nicht einmal die Behörden sind sich einig. Die Zeitschrift Semana berichtet, die Staatsanwaltschaft habe in den Jahren 2005 bis 2012 mehr als 21.000 Fälle gezählt. Die nationale Datenbank SIRDEC aber verzeichne für einen viel längeren Zeitraum, 1970 bis 2012, nur knapp 20.000 Fälle gewaltsamen Verschwindenlassens und rund 59.000 weitere Vermisste. Und immer noch verschwinden Menschen; SIRDEC zufolge sind es seit drei Jahren etwa 4.000 pro Jahr.

Die Täter werden so gut wie nie bestraft – der Staat scheint kein Interesse daran zu haben, die Fälle zu verfolgen. Immerhin versuchen staatliche Einrichtungen mittlerweile, die Praxis des Verschwindenlassens zu dokumentieren und öffentlich zu machen, und vor ein paar Tagen haben Forscher ein vierbändiges Mammutwerk zum Thema veröffentlicht (aus dem Semana ihre Zahlen entnommen hat, und das gratis im Netz herunterzuladen ist). Anlass ist die Woche der Verschwundenen, die gerade in Bogotá begangen wird.

Es ist ein Delikt ohne Leiche, ohne Beweise, und ohne Trauer. Die Familie vermutet, dass das geliebte Wesen ermordet wurde. Aber trauern kann sie nur in den seltenen Fällen, in denen die Behörden die Überreste finden, sie identifizieren und (der Familie) übergeben.

So schreibt die Semana. Welche Lücke die Verschwundenen hinterlassen, hat der argentinische Fotograf Gustavo Germano eindrücklich in seinen Bildern festgehalten. Er stellte mit seinen Protagonisten alte Familienfotos aus den 70ern nach – immer fehlte mindestens eine Person. In Deutschland wurden die Fotos schon vor vier Jahren anlässlich der Frankfurter Buchmesse als Bildband herausgebracht, damals war Argentinien Partnerland. In Bogotá sind sie gerade im Centro Cultural García Márquez zu sehen.

Aus der Serie "Ausencias", Abwesenheiten, von Gustavo Germano

Aus der Serie „Ausencias“, Abwesenheiten, von Gustavo Germano

Aus der Serie "Ausencias", Abwesenheiten, von Gustavo Germano

Aus der Serie „Ausencias“, Abwesenheiten, von Gustavo Germano