Kate del Castillo vertraute dem Drogenbaron mehr als der mexikanischen Regierung. Und Joaquín Guzmán Loera, genannt El Chapo, vertraute ihr. Das war sein großer Fehler.

Weil er sich mit der Schauspielerin und Filmproduzenten traf, kamen die mexikanischen Behörden dem Flüchtigen auf die Spur. Möglicherweise brachte ihnen del Castillo selbst den entscheidenden Hinweis, ohne es zu wollen.

Am vergangenen Freitag wurde der meistgesuchte Mafiaboss der Welt von mexikanischen Marinesoldaten nach einer Schießerei festgenommen – und seither ist die Welt der Celebrities in Aufruhr. Denn die mexikanische Schauspielerin del Castillo hatte ihrem US-Kollegen Sean Penn ein Treffen mit Joaquín Guzmán in den unwegsamen Bergen von Sinaloa verschafft, wo dieser sich versteckt hielt.

Penn hatte Interesse, das Leben Guzmáns zu verfilmen. Der Drogenboss gewährte ihm und del Castillo ein Interview, vielleicht aus Eitelkeit, vielleicht auch, um einen möglichst schmeichelhaften Film zu erreichen. Im Rolling Stone berichtet Penn ausführlich über die Begegnung mit El Chapo, die konspirativen Vorbereitungen, die mühsame Anreise und ein folgendes Videointerview.

Es ist eine Mischung aus Abenteuergeschichte, Heldenverehrung und Aktivismus, in der Penn immer wieder die gewalttätige Bilanz des mexikanischen Drogenkriegs aufscheinen lässt: „Ich hatte viele Videos und brutale Fotos gesehen, von Geköpften, in die Luft Gejagten, Zerstückelten und von Kugeln Durchsiebten: Unschuldige, Aktivisten, mutige Journalisten und Feinde der Kartelle gleichermaßen“, schreibt er an einer Stelle. Es wirkt, als wolle er da schon Werbung machen für den geplanten Film.

Wie viele Menschen in den vergangenen zehn Jahren des mexikanischen Drogenkriegs getötet wurden, lässt sich nicht genau sagen: 70.000, sogar 100.000? Die wenigsten Morde werden jemals aufgeklärt. Zigtausende Menschen sind verschwunden, viele wurden entführt, Hunderte Journalisten wurden ermordet, die Wirtschaft ist durchsetzt vom Drogengeld, der Staat hängt mit drin.

Im Auto saß Guzmáns Sohn

Der Korruptionsexperte Edgardo Buscaglia bezeichnet Mexiko als eine Mafiakratie. Sean Penn erzählt in seiner – vom Chapo autorisierten – Reportage, dass er und seine Begleiter an einer Straßensperre des Militärs anstandslos durchgewunken wurden, nachdem der kontrollierende Soldat erkannt hatte, dass ein Sohn des Drogenbosses mit im Auto saß. Für die mexikanischen Behörden ist das ein unangenehmes Detail.

Allerdings lässt es auch Sean Penn an Distanz zu Joaquín Guzmán vermissen. In seinem Interview darf sich der Mafioso, inzwischen eine der reichsten Personen der Welt, als Sohn armer Leute darstellen, dem nur das Drogengeschäft blieb, um seine Familie über Wasser zu halten. „Bis heute gibt es dort (wo ich herkomme) keine anderen Arbeitsmöglichkeiten“, sagt er. Er selbst sei zudem keine gewalttätige Person. „Ich verteidige mich nur selbst. Aber suche ich Streit? Niemals.“

Penns Begleiterin Kate del Castillo wurde vom Drogenboss geschätzt, seit sie ihm vor vier Jahren über Twitter einen Fanbrief geschickt hatte. „Ich glaube mehr an El Chapo als an die Regierungen, die die Wahrheit vor mir verbergen“, hatte del Castillo geschrieben, und den Mafioso aufgefordert: „Wäre es nicht cool, wenn Sie künftig das Gute schmuggeln würden? Medikamente gegen Krankheiten, Nahrung für Straßenkinder? Schmuggeln sie korrupte Politiker, nicht Frauen und Kinder, die als Sklaven enden. Verbrennen sie die Bordelle, in denen eine Frau nicht mehr wert ist als eine Schachtel Zigaretten. Lassen Sie uns mit der Liebe Geschäfte machen, Sie wissen, wie das geht.“

Wäre del Castillo nicht so bekannt – unter anderem für die Hauptrolle in der Fernsehserie „La Reina del Sur“, in der sie einen weiblichen Drogenboss spielt –, man könnte das Schreiben als naiv und unwichtig abtun. Doch seitdem sie es veröffentlichte, ist Joaquín Guzmán mit ihr in Kontakt. Angeblich schickte er ihr Blumen, die sie aber nie erreichten.

Kurz nach dem Stelldichein zwischen den beiden Schauspielern und Guzmán im Dschungel wurde klar, in welche Gefahr der Drogenbaron sich begeben hatte. Mexikanische Sicherheitskräfte und Beamte der US-Anti-Drogenbehörde orteten seine Entourage, Guzmán musste untertauchen. Ein geplantes zweites Treffen mit Sean Penn kam nicht zustande. Um ihn vor den Verfolgern in Sicherheit zu bringen, schoßen Guzmáns Leute Berichten zufolge zwei Militärhubschrauber mit Raketen vom Himmel.

„Mission erfüllt. Wir haben ihn“

Doch danach sollte es nur noch drei weitere Monate dauern, bis sie El Chapo tatsächlich hatten. Angeblich hatte er unter dem Haus in Los Mochis, in dem er sich zuletzt aufhielt, einen Tunnel graben lassen. Die Bauarbeiten brachten die Behörden auf seine Fährte. Die ersten Fotos nach seiner Festnahme zeigen Guzmán in einem schmutzigen Unterhemd auf einem Hotelbett sitzend. Den Berichten zufolge hatte er versucht, durch die Kanalisation zu fliehen.

„Mission erfüllt: Wir haben ihn“, twitterte Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto – und weckte damit unselige Assoziationen. Im Jahr 2003 hatte der damalige US-Präsident George W. Bush das Ende des Irakkriegs mit der gleichen Floskel verkündet. Heute ist der Frieden im Irak weiter entfernt denn je.

In Mexiko hatten sie Joaquín Guzmán schon zweimal festgesetzt. Beide Male saß er in Hochsicherheitsgefängnissen ein; beide Male konnte er fliehen, mutmaßlich mit Hilfe seiner Bewacher.

Doch eine Auslieferung in die USA, für mexikanische Drogenbosse nicht ungewöhnlich, hatten die mexikanischen Behörden bisher immer abgelehnt. Es wäre für sie selbst zu gefährlich, sagen viele Beobachter: Vor einem Gericht in den Vereinigten Staaten könnte El Chapo zu viel erzählen über mutmaßliche Verbindungen zwischen mexikanischer Politik und Sicherheitsbehörden mit dem Drogengeschäft.

Dieses Mal könnte es anders sein. „In Mexiko gibt es kein sicheres Gefängnis für El Chapo“, sagte der Journalist Ricardo Ravelo auf CNN. Am Wochenende hat die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft bestätigt, dass der formale Auslieferungsprozess nach Guzmáns erneuter Verhaftung in Gang gesetzt wurde. In mehreren Gerichtsbezirken der USA, unter anderem Miami, Chicago und New York, sind Verfahren gegen ihn anhängig.

Wenn alles seinen korrekten Gang geht, könnte der Mafiaboss schon im Februar in einem US-Gefängnis sitzen. Viele Mexikaner allerdings zweifeln angesichts seiner Vorgeschichte daran.

Der Drogenkrieg geht weiter

„Wir haben in Mexiko ein immenses Problem mit Drogen und Gewalt, mit der Straflosigkeit und dem Mangel an Gesetzesherrschaft“, sagte der mexikanische Historiker Enrique Krauze der New York Times.
„Hier ist El Chapo. Aber was ist mit den anderen Protagonisten der Straflosigkeit und der Gewalt? Den Politikern und den Polizeikräften, die seit Jahrzehnten ihre Verbündeten und Geschäftspartner sind?“

Den Drogenkrieg wird El Chapos Festnahme ohnehin nicht beenden – im Gegenteil: Guzmáns Organisation, das Sinaloa-Kartell, gilt als das mächtigste Verbrechersyndikat Mexikos mit Verbindungen in alle Welt, und die Kronprinzen bereiten sich wohl schon auf den Kampf um die Nachfolge des Bosses vor. Auch die Konkurrenz dürfte die Gunst der Stunde nutzen, um ihren Einfluss auszudehnen.

El Chapos Aufstieg gelang, nachdem die USA den früheren Drogenlord Javier Arellano Félix festnahmen, den Chef des gleichnamigen Kartells. Auch auf Joaquín Guzmán wird ein neuer Drogenboss folgen. Das Geschäft ist einfach zu lukrativ.

Artikel ursprünglich erschienen auf ZEIT ONLINE