Jeden Tag könnte in Washington das Urteil fallen, das über die Zukunft eines ganzen Landes entscheidet. Der Kläger: Pacific Rim, ein kanadischer Bergbaukonzern, den es gar nicht mehr gibt. Das Gericht: ein Schiedsgericht der Weltbank. Der Beklagte: El Salvador, ein von Gewalt malträtiertes, kleines mittelamerikanisches Land. Es geht um reiche Goldvorkommen – und um die Frage, ob ein armes Land wie El Salvador es sich erlauben darf, um der Umwelt willen ihre Ausbeutung zu verbieten. Die Mehrheit der Salvadoreños wäre dafür.

Der Fall reicht lange zurück. Vor acht Jahren verweigerte Antonio Saca, damals Staatsoberhaupt von El Salvador, dem kanadischen Bergbaukonzern Pacific Rim die Schürfrechte für eine Goldader im Department Cabañas. Dabei waren der Präsident und seine konservative Arena-Partei grundsätzlich offen für Investoren – es gab nur eine Ausnahme: Bergbauprojekte. Zu groß war die Sorge, die Minen könnten das Trinkwasser El Salvadors verseuchen, zu groß der öffentliche Druck.

Das ist bis heute so geblieben. Auch die beiden Präsidenten der linken Partei FMLN, die auf Saca folgten, haben seine Entscheidung nicht widerrufen. Dutzende Anträge liegen auf Eis; die gegenwärtige Regierung unter Präsident Salvador Sánchez Cerén würde die Vergabe von Konzessionen am liebsten definitiv einstellen. Die Bevölkerung steht hinter ihm: Zum Beispiel in der Gemeinde Arcatao im Department Chalatenango, wo im vergangenen November fast 100 Prozent der Einwohner gegen den Bergbau stimmten. Doch das Verfahren in Washington blockiert eine endgültige Entscheidung seit Jahren.

Für Pacific Rim geht es um viel Geld. Sechs Jahre lang hatte der kanadische Konzern die Goldmine in Cabañas erforscht, Millionen Dollar in Probebohrungen investiert. Die Mine war der wichtigste Vermögensgegenstand des Unternehmens. Pacific Rim vermutete in ihr 1,4 Millionen Feinunzen Gold zum ungefähren Wert von 1.000 Dollar pro Unze: Zu viel Geld, um es einfach kampflos aufzugeben.

2009 verklagte der Konzern El Salvador vor einem Schiedsgericht der Weltbank auf mehr als 301 Millionen Dollar Schadenersatz. Für das Land ist das eine hohe Summe, umgerechnet mehr als ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts; hinzu kommen etwa zwölf Millionen Dollar Kosten für den Prozess. Geld, das El Salvador viel sinnvoller hätte ausgeben können, sagt die kanadische Anti-Bergbau-Aktivistin Jen Moore. Pacific Rim argumentiert, die Regierung habe das mittelamerikanische Freihandelsabkommen Cafta und nationales Recht verletzt. Inzwischen existiert das Unternehmen zwar nur noch als Tochtergesellschaft des australischen Bergbaukonzerns OceanaGold, doch der führt das Verfahren weiter.

Investorenschutz, TTIP und Ceta

Von Deutschland scheint das alles weit entfernt. Aber der Fall zeigt, welche Folgen es haben kann, wenn Freihandelsverträge oder nationale Gesetze Investitionen unter besonderen Schutz stellen – so wie es auch im transatlantischen Abkommen TTIP oder im europäisch-kanadischen Abkommen Ceta vorgesehen ist. „Für TTIP und Ceta legen solche und andere Klagen dringend nahe, ausländischen Investoren keine Sonderklagerechte einzuräumen“, sagt Pia Eberhardt von der TTIP-kritischen Organisation CEO. Solche Rechte gäben den ausländischen Unternehmen die Möglichkeit, „Schadenersatz zu verlangen, nur weil ein Land dem demokratischen Willen seiner Bevölkerung folgt“. Etwa indem es aus dem Bergbau aussteige, so wie El Salvador.

In anderen Ländern betreffen die Schiedsgerichtsverfahren einzelne Projekte oder – etwa in den Klagen um den deutschen Atomausstieg – die Richtung eines bestimmten Politikfeldes wie der Energiepolitik. Doch der Fall El Salvador ist anders. Dort geht es um das Entwicklungsmodell eines ganzen Landes.

Pacific Rim und sein Nachfolger OceanaGold versuchten, „dem Land einen Entwicklungsweg aufzuzwingen, basierend auf der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen, von dem einzig die transnationalen Konzerne, ihre Aktionäre und die Käufer der billigen Rohstoffe in den Industriestaaten profitieren“, sagt Marcos Orellana. Der Anwalt arbeitet für das Zentrum für Umweltrecht (Ciel) in Washington und unterstützt El Salvador in dem Schiedsgerichtsfall. Die Mehrheit der Bevölkerung in El Salvador sei „angesichts der Risiken für lebenswichtige Wasserquellen“ gegen eine Entwicklung, die sich auf den Bergbau stütze, sagt Orellana. Im Department Cabañas etwa hätten Anwohner begonnen, Widerstand zu leisten, als sie bemerkten, dass wegen der Probebohrungen von Pacific Rim Quellen versiegten.

Entwicklung, aber für wen?

Dennoch ist es ziemlich ungewöhnlich, dass El Salvador den Bergbau aufgibt. Im Rest Lateinamerikas gilt – so wie in vielen anderen Entwicklungs- und Schwellenländern – die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen als der beste Weg zu mehr Wohlstand und Entwicklung. Die Industriestaaten brauchen Eisen, Kupfer, Holz und Gold; die Entwicklungsländer liefern – und das, obwohl die internationalen Bergbaukonzerne oft kaum Steuern zahlen und die Schäden für Mensch und Umwelt beträchtlich sind.

Pacific Rim versprach den Einwohnern des Departments Cabañas Arbeitsplätze und Wohlstand. „Das Projekt kann ein wirtschaftlicher Motor für El Salvador sein“, teilt ein Sprecher von OceanaGold auf Anfrage mit. „Wir glauben, dass eine moderne Bergbauindustrie, die sicher und nachhaltig und gemäß international anerkannter Best-Practice-Standards arbeitet, eine nachhaltige und jahrzehntelange Geschäftschance für El Salvador freisetzt.“

Zur Verhandlung vor dem Schiedsgericht könne er sich leider nicht äußern. Aber sein Unternehmen werde weiter mit El Salvador zusammenarbeiten, um durch den Bergbau wirtschaftliche und soziale Verbesserungen für das Land zu erreichen.

Das könnte ein wenig Entwicklung gut gebrauchen. El Salvador ist arm. Zwar produzieren Textilbetriebe und Agrarplantagen für den Export, und Call Center bieten ausländischen Auftraggebern ihre Dienste an. Doch das Geschäft funktioniert nur mit Niedriglöhnen. Auf dem Land leben immer noch viele Menschen als kleine Bauern von dem, was ihr Feld so hergibt. Bandenkämpfe und Drogengewalt machen El Salvador auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs zu einem der gewalttätigsten Länder der Welt. Viele Gewaltverbrechen bleiben unbestraft.

Der Kampf von OceanaGold um seine Mine scheint die Spannungen noch anzuheizen. „OceanaGold versucht mit allen Mitteln, eine Abbaulizenz zu erzwingen“, sagt Christian Wimberger von der Christlichen Initiative Romero, der im vergangenen Jahr die Gegend besucht hat. Über eine Stiftung verteile Oceana Wohltaten unter der Bevölkerung, etwa kostenlose Arztbesuche. Lokale Beamte und Politiker würden Aktivisten zufolge gekauft.

Während in anderen Departments El Salvadors die Bevölkerung nahezu geschlossen gegen den Bergbau gestimmt hat, sind die Leute in Cabañas mittlerweile gespalten. Der Anwalt Marcos Orellana sagt, Oceana verfolge dort eine Strategie des „teile und herrsche“. In einem Land wie El Salvador, das sich immer noch vom Bürgerkrieg erhole, „ist das ein unverantwortliches Vorgehen. Es ist, als ob man in einer Tankstelle mit Feuer spielt.“ Es gibt Fälle, in denen Anti-Bergbau-Aktivisten in El Salvador ermordet wurden, die Hintergründe sind ungeklärt.

Für Orellana ist die Klage vor dem Schiedsgericht schlicht „Erpressung“. Durch das Verfahren liege die gesamte Umweltpolitik El Salvadors, die mit dem Bergbau zu tun habe, auf Eis. „Dahinter steckt eine ganz grundlegende Frage: Können Regierungen ihre Bürger schützen, so wie es die Verfassung vorsieht, ihr Trinkwasser garantieren, die Sicherheit ihrer Umwelt? Das Schiedsgerichtsverfahren gefährdet das alles.“

Der Anwalt sagt, die Ansprüche Oceanas seien „willkürlich und durch nichts legitimiert“. Für seine Sicht spricht, dass die Richter vor drei Jahren schon die Schadenersatzklage auf Basis des Freihandelsabkommens Cafta ablehnten. Jetzt wird nur noch auf Grundlage der nationalen Gesetze verhandelt. Orellana sieht gute Chancen, den Fall endgültig zu gewinnen.

Dieser Text ist in einer etwas anderen Fassung ursprünglich auf ZEIT ONLINE erschienen.