Was macht ein gutes Leben aus? Status im Beruf, genügend Geld für eine schöne Wohnung und regelmäßige Urlaubsreisen? Die Möglichkeit zur Selbstentfaltung oder zum Engagement für andere?  Die eigene Gesundheit, das Wohlergehen von Familie, Nachbarn und Freunden?

Die indigenen Wayúu im Nordosten Kolumbiens brauchen nicht viel materiellen Besitz, um ein aus ihrer Sicht gutes Leben zu führen – aber sie bestehen auf grundlegenden Dingen, die eine kapitalistische Gesellschaft ihnen nicht zu gewähren bereit ist. Auf einen Fluss, um zu fischen. Land, um es zu bebauen; Wasser, um die Felder zu bewässern; und auf einen Wald, um zu jagen und essbare Pflanzen zu sammeln. Doch ihre Heimat befindet sich auf großen Steinkohlereserven. Und die kolumbianische Regierung versteht den Abbau der Kohle – vor allem auch für deutsche Kunden – als wesentliche Antriebskraft für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Es ist ein Konflikt zwischen zwei Weltanschauungen. Wie er ausgeht, ist auch den Bewohnern der deutschen Braunkohlereviere klar.

Wer weniger Macht hat, verliert; die Wayúu werden trotz Gegenwehr umgesiedelt, um Platz für den Kohletagebau zu machen. Der Dokumentarfilmer Jens Schanze hat den Kampf der Wayúu-Gemeinschaft aus dem Dorf Tamaquito über Jahre hinweg begleitet: von den ersten Gesprächen mit dem Kohlekonzern El Cerrejón bis zum Umzug ins neue Dorf und dem Leben danach. La Buena Vida heißt sein Film, Das gute Leben. Seine Weltpremiere feierte er in Tamaquito.

Es ist nicht das erste Mal, dass Jens Schanze vom Kohleabbau und dem damit verbundenen Verlust von Heimat erzählt. Im Jahr 2002 drehte der Regisseur den später preisgekrönten Film Otzenrather Sprung, es ging um die Umsiedlung mehrerer Dörfer für den Braunkohletagebau Garzweiler II im rheinischen Revier.

Während der Dreharbeiten zu Das gute Leben lebten er und seine Crew mit den Leuten von Tamaquito. „Wir wurden von Beginn an wie Mitglieder der Dorfgemeinschaft behandelt“, sagt er. Als Ergebnis ist in seinem Film eine große Nähe zu spüren, etwa wenn die Kamera die Wayúu beim Jagen und Fischen begleitet, wenn sie eine Reinigungszeremonie zeigt oder wenn Alfonso López Epiayu von seinen Träumen erzählt. Er ist der Gründer von Tamaquito.

So wird auch ziemlich schnell deutlich, auf wessen Seite Schanze steht. Am Ende fragt er El Cerrejón nicht einmal mehr nach möglichen Ursachen für offensichtliche Missstände im neuen Dorf.  „Die Frage stellte sich für mich einfach nicht“, sagt er. „Aus meiner Sicht war von Anfang an klar: Das Unternehmen will die Leute von Tamaquito möglichst billig umsiedeln. Punkt.“

Der Film kommt ganz ohne einen Sprecher aus dem Off oder anderweitig dargebotene zusätzliche Erklärtexte aus, nur ab und zu vermittelt die Stimme eines kolumbianischen Radiosenders etwas Kontext. Ansonsten aber entwickelt sich die Geschichte allein aus den Szenen, die gezeigt werden. Man sieht das Leben in Tamaquito vor der Umsiedlung, in einer grünen, bewaldeten Gegend nahe am Fluss. „Es gab immer genug zu essen, reichlich Regen und Wasser“, sagt Jairo Fuentes Epiayu, der junge Dorfvorsteher und ein Enkel Alfonsos. „Die Jagd war gut.“

Man sieht den enormen Kohlebergbau von El Cerrejón und kann mitverfolgen, wie in den Verhandlungen zur Umsiedlung zwei Kulturen aufeinanderprallen: Hier die an Effizienz orientierten, betriebswirtschaftlich rechnenden Mitarbeiter des Konzerns, dort die Dorfgemeinschaft der Wayúu, die wesentliche Entscheidungen grundsätzlich erst nach ausführlicher Beratung in der Vollversammlung trifft und Sorge hat, im neuen Dorf von der Wasserversorgung abgeschnitten zu sein.

Wie existenziell der Konflikt ist, zeigt sich, als Jairo Fuentes die Verhandlungen abbricht und danach Todesdrohungen erhält. Wer dahintersteckte, weiß man bis heute nicht.

Wie die Sache ausgeht? Die Leute von El Cerrejón würden vermutlich sagen, die Wayúu lebten heute ein besseres Leben als früher – schließlich hat sich der Konzern gemäß internationaler Abkommen dazu verpflichtet, durch seine Umsiedlungen den Lebensstandard der Betroffenen nicht zu verschlechtern. Die Leute von Tamaquito selbst sind da freilich ganz anderer Auffassung, und sie haben dazu allen Grund. Ab dem 14. Mai ist ihre Geschichte in deutschen Kinos zu sehen.