In Brasilien kam es in der Nacht erneut zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Leute protestieren gegen die Gewalt in den Armenvierteln, die auch für Unbeteiligte tödlich sein kann, gegen Übergriffe der Polizei, und dagegen, dass – wie zum Beispiel in São Paulo – Hunderttausende Wohnungen fehlen, während Unsummen für die neuen WM-Stadien ausgegeben werden.

Bis zur Fußball-WM ist es nicht mehr lange hin. Es scheint, als ob die Gewalt bis zum Anpfiff des ersten Spiels eher zunehmen als abflauen wird.

Dabei wollten die Sicherheitsbehörden die Favelas eigentlich zur WM befrieden. Vorübergehend schien es auch, als könnte das Vorhaben gelingen. Jetzt aber schildert ZEIT-Korrespondent Thomas Fischermann die Lage in Rio so:

Wütende Anwohner stiegen nach Einbruch der Dunkelheit nach Copacabana und Ipanema herab, manche mit Steinen in den Händen. Sie steckten Fahrzeuge in Brand und errichteten Straßensperren. Anwohner verbarrikadierten sich in ihren Wohnungen, Hotels verhängten Ausgangssperren für die Gäste, einige Hauptverkehrsadern blieben bis Mitternacht gesperrt. Es ist genau das passiert, was mit aller Gewalt verhindert werden sollte.

Die Befriedung sei gescheitert, weil die nötigen Ressourcen an allen Ecken und Enden fehlten: Es gebe zu wenige Polizisten, die zudem häufig noch schlecht ausgebildet seien und sich gewaltsame Übergriffe gegen die Nachbarn in den Favelas leisteten; zu wenig Geld für Sozialarbeit, zu wenige legale Jobs für die Leute.

Brasilien habe eine lange Tradition der Repression im Umgang mit Armen, sagte der Direktor der den Grünen nahestehenden Böll-Stiftung in Brasilien, Dawid Danilo Bartelt, im Deutschlandfunk – auch daher die jetzt aufflammende Gewalt:

Diese Polizei ist eine Militärpolizei und auch militärisch organisiert und ist ausgebildet – gerade gegenüber armen Menschen – repressiv und, auch wenn es sein muss und auch wenn es nicht sein muss, mit tödlicher Gewalt vorzugehen. Das steht in der Tradition dieser Polizei, die entstand, als Ende des 19. Jahrhunderts die Sklaverei in Brasilien endlich abgeschafft wurde und man ein Instrument brauchte, um mit diesen, nun auf dem freien Markt sich befindenden, aber Menschen, um die sich keiner weiter kümmerte, irgendwie fertig zu werden.

Aber es geht nicht nur um die Armen. Seit vergangenem Jahr protestiert in Brasilien auch die Mittelschicht. Alle sind sie wegen einer einzigen Sache auf der Straße: Die Regierung gibt astronomische Summen für die WM aus, angeblich mehr als Deutschland und Südafrika zusammen für die Weltmeisterschaften in ihrem Land. Doch die Brasilianer haben nichts davon.

Sie können sich die Mieten in den frisch sanierten Wohnvierteln nicht mehr leisten. Sie zahlen hohe Steuern und haben das Gefühl, der Staat leiste dafür nichts. Brasilien bekommt zur WM – falls alles rechtzeitig fertig wird – zwölf Stadien, die zu den teuersten der Erde gehören. Aber Schulen und Krankenstationen fehlen, und wer eine gute Ausbildung für seine Kinder oder einen guten Arzt will, zahlt dafür viel Geld. Die Infrastruktur ist marode, die Kriminalität hoch.

Das Debakel zeigt, was passiert, wenn Fifa, Provinzgouverneure und Baufirmen Geschäfte machen,

schreibt Peter Burghardt in der Süddeutschen Zeitung dazu.

Dawid Bartelt glaubt, dass wir künftig noch häufiger Bilder von Tränengas und Wasserwerfern aus Brasilien sehen werden. Die Proteste, sagt er, werden noch zunehmen.

Für alle, die mehr über die Kritik an den WM-Vorbereitungen lesen wollen, gibt es hier drei Blogs aus Brasilien. Christopher Gaffney, Andrew Downie und Mauricio Savarese bloggen auf Englisch.