In Zukunft könnte ein großer Teil unserer Nahrung aus Lateinamerika kommen – zumindest, wenn man der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) glaubt. Deren Experten beschreiben in einem neuen Report die bislang ungenutzten Potenziale der Region. „The Next Global Breadbasket. How Latin America Can Feed the World“ heißt das Werk.
Das Problem, mit dem sich die IDB hier beschäftigt, ist bekanntermaßen groß: Knapp 830 Millionen Menschen weltweit haben nicht genug zu essen, wie aus den Erklärungen der Welternährungsorganisation FAO hervorgeht. Immerhin: Das sind viel weniger als noch vor einigen Jahren, obwohl die Weltbevölkerung stetig wächst. Aber der Fortschritt ist viel geringer als erhofft. Eigentlich war es das Ziel der Vereinten Nationen, die Zahl der Hungernden von 1990 bis 2015 zu halbieren. Geschafft hat man nur ein Minus von 17 Prozent.
Bevölkerungswachstum, veränderte Ernährungsgewohnheiten und die Förderung von Agrosprit führen dazu, dass Ackerland jetzt schon knapp wird. Aber es gibt ein paar Gegenden, deren fruchtbare Böden bisher nicht genutzt werden. Ein paar davon liegen in Lateinamerika. Die größten Landreserven, sagt die FAO, verteilten sich auf nur sieben Länder, und davon befänden sich vier in Lateinamerika, nämlich Argentinien, Bolivien, Brasilien und Kolumbien. In dem Report des IDB heißt es (eigene Übersetzung):
Lateinamerika besitzt ein Drittel der globalen Süßwasservorräte (…) und mehr als ein Viertel des Ackerlands mit mittlerem oder hohem Potenzial. Die ganze Region exportiert heute schon viel mehr Nahrungsmittel als jede andere Gegend der Welt, und doch nutzt sie bisher nur einen kleinen Teil ihrer Möglichkeiten, ihre Agrarproduktion (…) auszuweiten. Zusätzlich (…) hat die Region viele Farmer mit reicher Erfahrung und viel Erfindungsreichtum, und dazu relativ starke Institutionen und Märkte.
Soll heißen: Die Zutaten sind vorhanden. Jetzt geht es darum zu schauen, wie man sie besser nutzen kann.
Das Ziel ist dabei vor allem, die landwirtschaftliche Produktion zu erhöhen. Das wird hier gleich im Vorwort klar gemacht:
Dieser Report konzentriert sich auf (…) die heimische Nahrungsproduktion abzüglich der Exporte plus der Importe. Dementsprechend werden in ihm Politiken und Investitionen behandelt, die eine Ausweitung der heimischen Nahrungsproduktion fördern, Nachernteverluste reduzieren und den internationalen Handel mit Lebensmitteln erleichtern (…). Nicht adressiert werden (…) die Versorgung mit Nährstoffen (…), die Kaufkraft der Haushalte (…), und Nahrungskonsum sowie -verwendung.
Man könnte sagen, das sei nur konsequent: Die Autoren schreiben eben über die Dinge, von denen sie am meisten verstehen. Ko-Herausgeber des IDB-Reports ist die Global Harvest Initiative, hinter der Agrokonzerne wie Monsanto und John Deere stehen. Global-Harvest-Chefin Margaret Zeigler firmiert als eine Hauptautorin. Daneben gaben zwar auch Umweltschützer und Entwicklungsexperten ihren Input, aber im Steuerungskomitee der Studie waren doch vor allem große Unternehmen vertreten, so wie der Chemie-Gigant Dupont, der Konsumgüterkonzern Unilever und Coca-Cola. Ihre Interessen sind klar: Dupont fertigt Dünger und Pflanzenschutzmittel, zentrale Ingredienzien für eine mechanisierte, industrialisierte Landwirtschaft. Für Unilever und Coca-Cola sind landwirtschaftliche Erzeugnisse ganz einfach wichtige Rohstoffe, die sie auch in Zukunft in möglichst großen Mengen kostengünstig einkaufen wollen.
So kommt es, dass in dem Report ein ziemlich einseitiges, technisches Verständnis von Ernährungssicherheit vertreten wird – ganz so, als ob es ausreichen würde, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen, um den Hunger zu besiegen. Dahinter steht das Modell einer hoch mechanisierten, industrialisierten Landwirtschaft für den Export. Da scheint es fast wie Kosmetik, dass die Studie immer wieder die Bedeutung von Kleinbauern und familiärer Strukturen in der lateinamerikanischen Landwirtschaft betont.
Übrigens werden trotz des Ressourcenreichtums Lateinamerikas nicht alle Länder des Kontinents das UN-Ziel erreichen, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Paraguay und Guatemala zum Beispiel haben in den letzten Jahrzehnten gar keine Verbesserung geschafft, und selbst Länder wie Kolumbien oder Bolivien, die doch laut FAO über besonders viel ungenutztes, fruchtbares Land verfügen, haben schlechte Chancen. Sogar in Brasilien, das so viele Agrargüter exportiert und das UN-Ziel bereits erreicht hat, gibt es noch Unterernährung.
Die Ursachen des Hungers liegen eben oft doch in den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen. Sie zu verbessern, müsste das eigentliche große Ziel sein.