Don Alfonso, ein Caballero von zweiundachtzig Jahren, verliert keine Sekunde, als er mich sieht. Er folgt mir unverzüglich ins Café und bietet mir formvollendet einen Stuhl an.

Dann fragt er mich, was ich zu trinken wünsche. Ich halte ihn für einen Ober, denn er trägt ein weißes, weites Leinenhemd mit einer dunklen Fliege. Erst als er schon entschwunden ist, fällt mir auf: Dies ist ein Café mit Selbstbedienung. Wer ist der Mann?

Als Don Alfonso mit zwei Eistees und einem Teller voller Kekse zurückkehrt und mit der größten Selbstverständlichkeit und absolut charmant an meinem Tisch Platz nimmt, wird mir klar, was hier gespielt wird: Dieser Caballero ist auf einen Flirt aus. Amüsiert und ein wenig gespannt darauf, was jetzt wohl kommt, nehme ich seine Einladung an.

Und ich werde prächtig unterhalten, denn Don Alfonso ist ein Schmeichler vor dem Herrn. Komplimente verteilen heißt auf Spanisch: tirar flores, Blumen werfen. Don Alfonso wirft mit Blumen nur so um sich. Die ortsansässigen Damen im Café kennen das schon.

Sie erwidern seine Schmeicheleien, indem sie ihn ehrerbietig mit Doctor ansprechen. Eine widmet dem eleganten Herrn einen Vers, sehr zum Amüsement der Anwesenden. Mich bedenken sie mit fröhlichen Blicken, bevor sie lachend das Lokal verlassen.

Mein Kavalier scheint sehr bekannt zu sein, aber ich habe noch keine Ahnung, wem ich da gegenübersitze. Don Alfonso stellt sich als bester Journalist der Welt vor. Mit acht Jahren habe er schon angefangen, in dem Beruf zu arbeiten. Gabriel García Márquez sei sein Kollege gewesen. Gerade arbeite er an einer mehrbändigen Universalgeschichte der Welt, sagt er und deutet auf die Mappe mit Notizen, die auf dem Tisch zwischen uns liegt. „Einen wie mich gibt es nur einmal auf dem ganzen Planeten!“

Später bestätigen mir Kollegen in Bogotá, dass ich tatsächlich mit einem der besten Journalisten Kolumbiens Eistee getrunken habe.

„Don Alfonso, wir befinden uns in interessanten Zeiten, und Sie sind Journalist. Was halten Sie vom aktuellen Journalismus? Und wie geht es Kolumbien?“

Jetzt ist der alte Herr nicht mehr zu bremsen. Er beginnt seine Ausführungen – mit der Mondlandung. Er weiß genau, wie schwierig es ist, eine Rakete ins All zu schießen, und lässt es sich nicht nehmen, mir das Problem genauestens zu erläutern, und zwar so detailreich, dass ich so langsam den Faden verliere.

Don Alfonso lässt sich nicht bremsen. „Ein großer Schritt für die Menschheit, haben sie gesagt. Aber das war völliger Quatsch. Ich habe damals keinen Schritt nach vorne gemacht.“

„Aber lieber Don Alfonso, was hat all das mit meinen Fragen zu tun?“, unterbreche ich ihn.

„Haben Sie Geduld, meine Liebe! Ich bin wie Fidel Castro. Der spricht auch endlos lange, aber am Ende kommt er immer zum Punkt! Und, ich bitte Sie, nennen Sie mich doch nicht ,Don Alfonso‘, das ist viel zu steif. Sagen Sie Alfonsito zu mir! Das klingt doch viel schöner.« Über den Rand seiner Brille hinweg blickt er mir tief in die Augen und tätschelt meine Hand.

Dann verliert er sich erneut in seiner Erzähhlung. Zwischendurch grüßt er sehr aufmerksam nach rechts und links und drangt mich, die Kekse zu probieren, die er gebracht hat. „Sie sind eine Delikatesse, meine Schöne! Außerdem sind sie gut für die Figur. Besonders für die Hüften“, sagt er schelmisch und bringt mich damit zum Lachen.

Irgendwann reiße ich mich los.

„Mein Verehrtester, leider muss ich gehen.“

„Aber meine Liebe, wollen Sie nicht mit mir zu Mittag essen? Wir könnten uns ein wenig besser kennenlernen“, schmeichelt mein Verehrer. „Sie müssen nämlich wissen: Ich suche eine Frau. Genau so eine wie Sie!“

(Auszug aus „Wer singt, erzählt – Wer tanzt, überlebt“, erschienen im DuMont Reiseverlag. 256 Seiten; 14,99 Euro)