Einer der stärksten Kommentare zur Wahl in Kolumbien kam gestern abend von Marta Ruiz, Kolumnistin der Wochenzeitung Semana. Sie sieht durch den Sieg von Álvaro Uribes Kandidat Óscar Iván Zuluaga den Friedensprozess in ernster Gefahr. Uribe betreibe eine Politik des „ewigen Krieges“, schreibt sie – und zwar aus reinem Eigennutz.

Uribe verliert durch den Frieden… Er repräsentiert die alte Landbesitzerklasse, die Viehzüchter, den reichen Landherrn, der … dem Bauern mit Missachtung begegnet. Er will ihn als Soldat, als Tagelöhner, aber nicht als Eigentümer. Den Bauern Zugang zu Ackerland zu geben, würde bedeuten, eine Mittelschicht auf dem Land zu schaffen. Eine Mittelschicht, deren Kinder auf die Universität gingen, und nicht in den Krieg zögen, was sie im Land Uribes gezwungen waren zu tun,

schreibt Ruiz (meine Übersetzung). Und weiter:

Wenn es eine demokratische Öffnung gibt, verliert Uribe, denn seine politische Macht liegt in der Angst begründet, die er verbreitet. Wenn die FARC… die Waffen niederlegen, verliert er sein Schlachtpferd. Ohne die FARC gibt es Uribe nicht. … Ohne Krieg bricht er zusammen. Wenn der Drogenhandel abgebaut wird, verliert Uribe auch, denn viele seiner Verbündeten haben Beziehungen zu Teilen der Mafianetze. (…) Und wenn eine Wahrheitskommission eingesetzt wird, verliert er nochmals. Zu viele Schatten liegen über seinem politischen Leben.

Das spricht hier vielen aus der Seele. Ein Kollege fürchtet, dass Kolumbien vollends zum Militärstaat wird, wenn Zuluaga die Wahl endgültig gewinnt. Und er hat Sorge, dass der Bürgerkrieg dann auch wieder die Hauptstadt erreichen könnte, mit Bombenanschlägen auch in Bogotá. Er ist nicht der Einzige, der Angst hat.

Andere sind optimistischer. „Es ist nicht so einfach, den Friedensprozess zu beenden“, sagt Christian Voelkel von der International Crisis Group in Bogotá. „Dafür gibt es viel zu viel Rückhalt unter den Eliten und von der internationalen Community.“ Voelkel erwartet, dass Zuluaga im weiteren Wahlkampf Zugeständnisse machen muss. „Am Ende werden unterschiedliche Konzepte von Frieden und Verhandlungen stehen“, sagt er. „Die Differenzen müssen aber nicht unüberbrückbar sein.“

Wer aber hat Uribes Kandidat überhaupt gewählt? Angesichts der großen Zustimmung für ihn (unter den Leuten, die ihre Stimme abgaben), können es nicht nur die reichen Eliten gewesen sein. Offenbar gilt Zuluaga im Vergleich zu Santos als volksnah. Der Präsident stammt aus einer reichen Familie Bogotás. Sein Herausforderer hingegen kommt aus eher bescheidenen Verhältnissen.

Mein Kollege Tobias Käufer, der schon lange hier im Land lebt, sagt:

Im übrigen wählt der Kolumbianer nicht den vernünftigsten Kandidaten, sondern den, der ihn am vermeintlich besten beschützt. So hat Santos vor vier Jahren ja auch gewonnen.

Und Uribe verspricht vor allem Sicherheit durch eine harte Hand gegen die Guerilla. Ob die Wähler selbst unter der Herrschaft der FARC leiden, scheint für ihre Wahl allerdings nicht ausschlaggebend zu sein. In manchen von der Guerilla besetzten Regionen holte Zuluaga überragend viele Stimmen – in anderen gewann Santos.

Ein großer Teil der Bürger scheint freilich gar nichts von der Politik zu halten. Wie ließe sich sonst die hohe Wahlenthaltung erklären? Noch nie in den vergangenen 20 Jahren blieben so viele Wähler zuhause. Die Eliten sind entsetzt: „60 Prozent haben die Diktatur gewählt. So gibt es keine Demokratie“, twittert Juanita Olaya, eine Spezialistin für unternehmerische Verantwortung, die auch große Rohstoffkonzerne des Landes beraten hat. „Gegen Uribe zu sein bringt nichts, solange man auf dem Sofa sitzen bleibt und fernsieht“, kommentiert Sandra Borda, eine Politologin an der Uni de los Andes.

Wie geht es jetzt weiter? Die Kommentare sind widersprüchlich. Manche erwarten in den kommenden drei Wochen eine noch stärkere Polarisierung des Wahlkampfs, andere hoffen, dass endlich auch über andere Themen debattiert wird. Beide Kandidaten werden sich um die Stimmen der drei ausgeschiedenen Kandidaten bemühen müssen – Santos eher auf der linken Seite des Spektrums, Zuluaga rechts und in der Mitte. Viele werden wohl Santos wählen, um Uribe zu verhindern. Wenn auch widerwillig, so wie vermutlich Sandra Borda: „Wenn ich diese Stimme in der zweiten Runde abgegeben habe, werde ich stundenlang duschen.“

Ungefähr ein Drittel der Kolumbianer ist per se rechts, sagen Analysten. Deshalb: Wer diese Wahl gewinnt, ist noch lange nicht ausgemacht.