Seit Thomas Piketty sein Buch „Capital in the Twenty-First Century“ veröffentlicht hat, diskutiert alle Welt über Ungleichheit – und darüber, ob im Kapitalismus tatsächlich einige wenige ganz automatisch immer reicher werden, während die große Mehrheit der anderen auch mit harter Arbeit auf keinen grünen Zweig kommt.

Kolumbien kann einiges zu der Diskussion beitragen.

Das Land ist kein Entwicklungsland mehr. Es strebt in den Industrieländerklub OECD, und gemessen an den Kategorien der Weltbank gilt es als Land mit eher hohem mittleren Einkommen. Kolumbien ist reich an Rohstoffen und fruchtbarem Land – und weil China in den vergangenen Jahren so viele der Bodenschätze kaufte, ist Kolumbiens Wirtschaft zuletzt stark gewachsen.

Die Ungleichheit bleibt dennoch hoch. In keinem OEDC-Land, auch nicht in Mexiko, erzielen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung ein so viel höheres Einkommen wie die ärmsten zehn Prozent. Ein Report der Vereinten Nationen kam im vergangenen Herbst zu dem Ergebnis, dass die Ungleichheit nirgends in Lateinamerika so stark gewachsen sei wie in den Städten Kolumbiens – und das will etwas heißen, schließlich ist die Kluft zwischen Arm und Reich nirgends so hoch wie auf dem lateinamerikanischen Kontinent.

Manche sagen, das ist so, weil die Region schon immer ungleich war, mit einer winzigen Gruppe spanischer und portugiesischer Landbesitzer, die über eine Mittelklasse von Mestizos herrschte und Millionen Ureinwohner und Afrikaner ausbeutete. Die Abhängigkeit Lateinamerikas von Rohstoffexporten hat die Ungleichheiten noch verstärkt, weil sie nur wenige Arbeitsplätze brachten, und weil fällige Abgaben oft an korrupte und inkompetente Regierungen flossen.

Koloniale Wurzeln, Abhängigkeit von Rohstoffen, eine Politik, die es nicht schafft, die Erträge des natürlichen Reichtums besser zu verteilen –  was Mike Ceaser in seinem Bogotá Blog beschreibt, trifft auch Kolumbien.

Lars Christian Moller, damals Kolumbien-Experte der Weltbank, nannte das Land im Herbst 2012 eines der sieben ungleichsten Länder der Welt, und verglich es mit Haiti. Moller stellte eine interessante Rechnung an:

Die Armut geht in Kolumbien zurück. Aber sie könnte viel schneller sinken, wenn die Einkommensverteilung nicht so ungleich wäre. Von 2003 bis 2011 ist die Einkommensarmut von 47,7 Prozent auf 34,1 Prozent gefallen. … Die Einkommensverteilung blieb aber ungefähr gleich: Der Gini-Koeffizient war 0,55 in 2011, ebenso wie in 2003. Unsere Berechnungen zeigen: Hätte Kolumbien die gleiche Einkommensverteilung wie Peru, läge die Armut heute zehn Prozentpunkte niedriger, also um die 25 Prozent.

Arm ist nach den Maßstäben der Weltbank übrigens, wer mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen muss. Die Maßzahl hat ihre Schwächen, denn sie erfasst nur, was für Geld zu haben ist; so gilt zum Beispiel ein Bauer ohne monetäres Einkommen als arm, selbst wenn er sich weitgehend selbst versorgt und keinen Hunger leidet. Aber in einer Stadt wie Bogotá sind 1,25 Dollar am Tag erschütternd wenig.

Moller sieht mehrere Gründe für die anhaltende Armut. Die Arbeitslosigkeit in Kolumbien ist hoch, und viele Kolumbianer müssen sich mit informellen Jobs über Wasser halten. Wer an einem ganz normalen Wochentag durch die Altstadt Bogotás geht, bekommt schnell ein Gefühl dafür, wie viele es sind. Die Straßen sind gesäumt von Händlern, die laut rufend alles mögliche feilbieten: Bücher, Poster, Obst, Gemüse, Haushaltswaren, Tischdecken. Andere wandern mit ihrer Ware von Haus zu Haus, manche suchen Verwertbares im Müll.

Wer aber einen offiziellen Job in der formalen Wirtschaft ergatterte, zahlte bislang – verglichen mit den ganz Reichen – hohe Einkommenssteuern. Noch einmal Moller:

Kolumbiens Steuersystem ist regressiv. Das bedeutet, je reicher man ist, desto niedriger ist der Steuersatz.

Als der Weltbank-Ökonom das schrieb, wollte die Regierung von Präsident Juan Manuel Santos das Problem gerade ändern. Mittlerweile Santos‘ Steuerreform in Kraft. Um zu beurteilen, wie sie wirkt, muss man wohl noch warten.

Der jahrzehntelange Bürgerkrieg Kolumbiens hatte seine Wurzeln auch in der Ungleichheit, vor allem in der ungleichen Verteilung von Land. Die Regierung Santos, die gerade mit den FARC auf Kuba über einen Friedensvertrag verhandelt, scheint sehr zuversichtlich, den Konflikt zu überwinden. Aber die wirtschaftlichen Daten zeigen: Die Ursachen der Gewalt sind noch da.

Sie zeigen auch wie wichtig eine gute Politik ist, damit alle vom Reichtum profitieren. Piketty würde dem wahrscheinlich zustimmen.