Tak-ta-tak-tak. Klar, das ist ein total einfacher Rhythmus. Fácil. Simple. Was für Babys. Aber ich krieg ihn nicht hin. David schaut mich zweifelnd an, dann schlägt er noch einmal auf die Tischkante: Tak-ta-tak-tak. Mit flacher Hand, mit gekrümmter Hand, mal fest, mal sanft, mal nah an der Kante, mal voll auf die Tischplatte.

Jeder Schlag klingt anders, klar, das kann ich hören. Aber das reproduzieren? Als rhythmisch im Vergleich zu einem siebenjährigen afrokaribischen Jungen, der mit Trommeln, Tänzen und Gesängen aufgewachsen ist, sagen wir: ziemlich untrainierte Mitteleuropäerin? Es ist hoffnungslos. Ich setze trotzdem an. Tak-ta-tak-tak. David schaut zweifelnd. Die andern am Tisch sind amüsiert.

David ist ehrgeizig, „und streng mit anderen“, sagt Rafa. Rafael Ramos, dunkle Locken, schlanke Gestalt, immer in Bewegung, ein Trommler auch er, ist einer von Davids Lehrern. Er hat den Ort geschaffen, an dem wir uns befinden: die Schule der Trommler von La Boquilla, Cartagena, Kolumbien. Ich habe die Trommler vor zwei Jahren in Bogotá live gesehen. Seitdem bin ich von ihrer Energie, von ihrer Musik begeistert.

In Rafas Schule lernen Kinder aus La Boquilla trommeln wie die Alten, tanzen und singen. Sie spielen den Llamador, die rufende Trommel, die der ganzen Truppe sagt, wo es langgeht. Sie schlagen den Tambor Alegre, die fröhliche Trommel, die dem Llamador folgt, und die große Basstrommel Tambora, die auf einem Gestell liegend mit Stöcken gespielt werden muss. Sie spielen auf Fässern, dann sind sie besonders laut. Manche Kinder sind kaum größer als die Fässer, dann steigen sie auf Podeste, um das Fell der Trommel zu erreichen. Und wenn keine Instrumente in der Nähe sind, nehmen sie alte Farbeimer, Tüten, Flaschen, Plastikbecher, ihre Knie, ihre Wangen, ganz egal.

In La Boquilla verpassen sie jedem noch so leblosen Ding den Groove. Der jüngste, Thiago, ist zwei Jahre alt und spielt, als hätte er nie etwas anderes getan. Mit dem Sprechen klappt es noch nicht ganz so flüssig.

Sie proben direkt am Strand, unter einem Dach aus Holz, Palmblättern und Plastik. Links und rechts erheben sich die schneeweißen Türme der Strandhotels. Es sind internationale Ketten, die in den vergangenen Jahren in Cartagena investiert haben. Kolumbien wird friedlicher, die Touristen kommen, und Cartagena hat, was viele suchen: kilometerlange weiße Strände, Sonne, Meer, eine malerische Altstadt; eine wechselhafte Geschichte, in der Piraten und Freiheitskämpfer, der Sklavenhandel und die Inquisition eine Rolle spielen.

Abends fahren Pferdekutschen die Besucher durch die historischen Straßen. Es gibt schicke Restaurants. Noble Hotels. Ein prächtiges Theater. Gerade kommt viel frisches Geld nach Cartagena. Den Leuten von La Boquilla wäre es lieber, die Investoren blieben weg. „La Boquilla wird gentrifiziert“, sagt Rafa. Für die Einheimischen bleibt im wortwörtlichen Sinn kein Platz mehr.

Früher war der La Boquilla ein schlichtes Fischerdorf. Doch seit so viel gebaut wird, gibt es keine Fische mehr. Für die Hotels hat man den Zufluss gekappt, der die Küstenlagune mit dem offenen Meer verband. Das Gewässer veränderte sich, die Fische verschwanden. Vom Fischfang kann hier heute keiner mehr leben.

Wenn sie Glück haben, bekommen sie einen Job als Zimmermädchen, als Kellner oder auf dem Bau. Wenn sie Pech haben, bleiben sie zuhause und leben von dem, was Angehörige und Freunde nach Hause bringen. Wer Pech hat und nicht zuhause bleibt, wer die falsche Wahl trifft, der wird zum Drogenhändler – oder Konsument. Für Jugendliche bietet La Boquilla keine tollen Perspektiven. Dass Mädchen aus Sehnsucht nach Zärtlichkeit und einer intakten Familie früh schwanger werden, ist hier – und anderswo in den Armenvierteln Cartagenas – ganz normal.

„Die Gewalt ist zu nichts nütze“

Die schneeweißen Hoteltürme sind schon bedrängend nah an die kleinen bunten Häuser des Ortes gerückt. Manche der Fischer haben ihre Grundstücke verkauft; doch weggezogen sind sie nicht. Wohin sollten sie auch gehen? Da zogen die Nachbarn zusätzliche Trennwände in ihre Häuschen ein, damit jedem wenigstens ein bisschen Privatsphäre blieb, und nahmen die Obdachlosen auf. Jetzt leben alle so beengt, wie man sich das nur vorstellen kann. Das Geld aber, das die Verkäufer für ihre Grundstücke bekommen haben, ist längst verfrühstückt.

Was so ein Leben bedeutet, darüber haben die Kinder der Trommelschule Lieder geschrieben. Eines geht so:

Algunos padres maltratan a sus hijos sin razón, sin razón

Algunos padres maltratan a sus hijos sin razón, sin razón

Te ha crecido la maldad de instinto animal

Te ha crecido la maldad de instinto animal

Cuando maltratan a un niño, siembran ira en él.

Y el corazón se entristece, se entristece, se entristece.

La violencia, la violencia, no sirve para ná

La violencia, la violencia, es signo de maldad.

(Manche Eltern misshandeln ihre Kinder ohne Grund. Manche Eltern misshandeln ihre Kinder ohne Grund. In Dir ist das Böse gewachsen, der tierische Instinkt. In Dir ist die Schlechtigkeit gewachsen, der tierische Instinkt. Wenn sie ein Kind misshandeln, säen sie Wut in ihm. Und das Herz wird traurig, wird traurig, wird traurig. Die Gewalt, die Gewalt führt nirgendwohin. Die Gewalt, die Gewalt ist ein Zeichen der Schlechtigkeit.)

Ein anderes:

Hijo no es cualquier cosa que tú lo coge, lo compra, lo vendes, lo empeña en la esquinaaaa

Hijo no es cualquier cosaaaa

Piensa, piensa en tu futuro

Y en lo bueno de la vida y en lo que te ha dado el mundo

Escucha consejo antes de quedar embarazada

Piensa, piensa en un futuro

Piensa en tu familia

Piensa en las cosas que ya no podrás hacer

Piensa en las cosas que quizás quieras hacer

(Sohn, es ist nicht irgendwas, das Du an der Ecke aufschnappst, kaufst, verkaufst, verpfändest. Sohn, es ist nicht irgendwas. Denk nach, denk an Deine Zukunft. Und an das Gute im Leben und daran, was die Welt Dir gegeben hat. Hör auf Ratschläge, bevor Du schwanger wirst. Denk nach, denk an Deine Zukunft. Denk an Deine Familie. Denk an die Dinge, die Du nicht mehr tun können wirst. Und an die Dinge, die Du vielleicht tun willst.)

„Denk an Deine Zukunft!“

Die Stimmen der Mädchen sind noch dünn, aber die Trommeln entschlossen: Denk an Deine Zukunft! Das ist der Sinn der Schule, sagt Rafa: „Sie soll Impulse geben, damit die Kinder und ihre Familien sich Gedanken machen darüber, was aus ihnen werden kann. Damit sie in ihrer freien Zeit, sagen wir: keine Angebote wählen, die ihrer Entwicklung, ihrer Ausbildung, ihrer Gesundheit schaden.“ Statt dessen, so hofft er, sollen sie ihre kreative Energie in die Musik lenken.

Es scheint zu klappen. Beim Üben am Strand ist von den Problemen nichts zu spüren. Die Sonne scheint, die Trommeln schlagen, ein Bus fährt vorbei, wenige Meter entfernt steigen Touristen in Bikini und Badeshorts ins Meer. Die Kinder bemerken sie nicht. Sie sind mit Feuereifer und hoch konzentriert bei der Sache. Tak-ta-tak-tak! David, der Siebenjährige, und zwei andere Jungs suchen sich selbst in der Mittagspause eine ruhige Ecke, in der sie üben können, ohne die anderen zu stören.

Cecilia Silva bringt den Kindern das Singen bei. Für mich improvisiert sie in der Mittagspause ein Lied: über den Vormittag am Strand und darüber, welche Freude es ihr bereitet hat, die Jungen und Mädchen trommeln zu sehen. Mit solchen Improvisationen funktioniert hier an der Karibikküste die Geschichtsschreibung: Die Cantadoras, traditionelle Sängerinnen, besingen Alltag und Riten, Geburten und Sterbefälle, Identität und Traditionen. In jedem ihrer Lieder steckt ein Stück Erinnerung, die Gesänge werden über Generationen weitergegeben. Eine schriftliche Tradition der Übermittlung gibt es nicht. Cecilia sagt, sie sei noch lange keine richtige Cantadoras – für mich beweist ihr Lied das Gegenteil. Sie hat bei den Alten gelernt.

Eine der bekanntesten Cantadoras Kolumbiens war Totó la Momposina. Rafa hat einst mit ihr gearbeitet, auch er ist mit den Trommeln aufgewachsen. Die Schule von La Boquilla habe er nach einer persönlichen Krise gegründet, erzählt er. Beim Üben am Strand ist Rafa ständig in Bewegung. Er zeigt den Kindern Schläge, reiht sich ein, wenn sie mit ihren Tanzlehrern eine Choreographie einüben, lacht über seine Fehltritte, scherzt, strahlt übers ganze Gesicht.

Viel später, am Abend, fährt Rafa mit seinem Jeep durch die unbefestigten Straßen von La Boquilla, auf dem Rückweg in die Innenstadt. Immer wieder rufen Kinder nach ihm: „Rafa! Hallo Rafa!“ Dann hält er an, grüßt und fragt: „Wie geht’s? Warum warst Du heute nicht im Unterricht? Ah, Du hattest zu viel zu tun. Aber nächste Woche sehen wir uns, oder?!“

David, der Siebenjährige, wird auch dann bestimmt wieder dabei sein. Ich bin dann leider schon woanders. Aber seit ich David kennengelernt habe, übe ich ab und zu unterwegs: Tak-ta-tak-tak. Eigentlich ist das doch ein ganz einfacher Rhythmus. Fácil, simple, was für Babys. So viel steht fest.