Wenn in Lateinamerika eine Person vermisst wird, dann bedeutet das nichts Gutes. In der Regel sind die Desaparecidosalso Verschwundenen, nicht freiwillig von ihren Familien weggelaufen. Desaparecido ist ein Euphemismus für: entführt, gefoltert, wahrscheinlich tot.

Für die Angehörigen ist die Ungewissheit darüber, was mit ihren Lieben geschehen ist, oft kaum auszuhalten. Und jeder könnte das nächste Opfer sein. Das macht das Verschwindenlassen zu einer wirksamen Terrormethode, beliebt unter Gewaltherrschern aller Art. In der Vergangenheit ließen Diktatoren ihre Gegner verschwinden. Heute sind kriminelle Gangs die Täter, manchmal im Verbund mit Vertretern des Staats.

Im mexikanischen Drogenkrieg sind in den vergangenen Jahren besonders viele Menschen verschwunden. 23.271 Desaparecidos zählte die amtliche Statistik vom Beginn des Jahres 2006 bis zum 31. Oktober 2014. Vermutlich dürfte die wahre Zahl noch höher liegen.

23.271 Verschwundene – die Zahl ist so hoch, dass Einzelschicksale dahinter unsichtbar werden. Die Leute hinter der mexikanischen Daten- und Infografikplattform Data4 wollen das ändern und die Menschen hinter den Zahlen zeigen. „Das sind Mexikos Vermisste“, schreiben sie, und dass man mithilfe ihrer Datenvisualisierung „jede einzelne ihrer Geschichten erforschen“ könne.

Zwar klappt das nicht ganz – die amtlichen Daten geben einfach keine persönlichen Geschichten her. Aber die interaktive Grafik zeigt: Die Gewalt durchdringt den Alltag vieler Mexikaner, sie ist überall. Seit die mexikanische Regierung ihren Drogenkrieg begann, steigt die Zahl der Desaparecidos von Jahr zu Jahr. Auch das geht aus den Daten von Data4 hervor. Wer will, kann darin noch tiefer graben: In welchen Gegenden des Landes ist die Gefahr am größten, zu verschwinden? Woher kamen die Verschwundenen? Nicht alle sind Mexikaner.

Die Aufbereitung macht auch deutlich, dass vor allem junge Leute verschwinden. So wie die 43 Lehramtsstudenten von Ayotzinapa, deren Fall im vergangenen Herbst weltweit Aufsehen erregt hat. Sie wurden inzwischen amtlicherseits für tot erklärt. Doch Zweifel bleiben.

Disclaimer: Eine erste Version dieses Textes erschien im Teilchen-Blog von ZEIT ONLINE. Dank an die Kollegen, die mich auf Data4 aufmerksam gemacht haben!