Die Anschuldigungen gegen die Präsidentin seien ein „Justizputsch“. Das sagte ein Mitglied der argentinischen Regierung, als die Staatsanwaltschaft Cristina Kirchner am Freitag formell der Strafvereitelung im Amt beschuldigte.

Die Staatsanwälte verfolgen damit die Vorwürfe ihres verstorbenen Kollegen Alberto Nisman weiter, der am 18. Januar erschossen in seiner Wohnung in Buenos Aires gefunden wurde. Nisman warf der Präsidentin vor, sie decke die Hintermänner des schwersten Attentats in der argentinischen Geschichte: des Anschlags auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA im Jahr 1994. Der Staatsanwalt vermutete die Drahtzieher im Iran. In Argentinien lebt eine der größten jüdischen Gemeinden außerhalb Israels.

Der Fall weist weit über das Attentat hinaus: Argentinien war in Südamerika lange ein wichtiger Verbündeter der USA. Carlos Menem, Präsident zum Zeitpunkt des Attentats auf die AMIA, gehörte zu den eifrigsten Anwendern der wirtschaftspolitischen Empfehlungen aus Washington. Er privatisierte, was das Zeug hielt, oft bereicherten sich Angehörige seiner Regierung durch die Geschäfte. Er koppelte die Landeswährung an den Dollar – ein Experiment, das zwar zunächst die Inflation stoppte, aber Jahre später grandios scheiterte. Menems Liebe zu den USA ging so weit, dass er zeitweise sogar den Beitritt Argentiniens zur Nato anstrebte.

Argentinische Medien berichten, dass CIA und Mossad sich von Anfang an in die Ermittlungen zum AMIA-Anschlag eingemischt haben sollen. Zwar gab es auch Hinweise, die in andere Richtungen führten. Aber irgendwann verfolgten die argentinischen Behörden nur noch die Spur in den Iran. Möglicherweise war es Zufall, aber es passte ziemlich gut zur Freundschaft mit den USA.

Cristina Kirchner aber änderte den Kurs, weg vom großen Bruder in Washington, den von ihm dominierten internationalen Finanzinstitutionen und hin zu Teheran. Sie soll versucht haben, die Aufhebung von internationalen Haftbefehlen zu erreichen, die wegen der AMIA-Ermittlungen gegen hochrangige iranische Regierungsmitglieder erlassen wurden. Um billiges Öl aus dem Iran zu erhalten, soll sie die Bestrafung der Schuldigen für das Attentat hintertrieben haben.

Das zumindest behauptete Nisman. Und seine Anschuldigungen klingen plausibel. Tatsächlich gab es eine außenpolitische Annäherung zwischen Argentinien und dem Iran. Es ist auch kein Geheimnis, dass Kirchner eine „Wahrheitskommission“ einsetzen wollte, an der auch Vertreter des Irans beteiligt sein sollten, um die Anschläge aufzuklären. Wohlgemerkt: Vertreter der Beschuldigten sollten an der Aufklärung des Falls mitarbeiten. Viele Argentinier waren darüber empört, auch prominente Menschenrechtler wie Santiago Canton, Direktor am Washingtoner Robert F. Kennedy Center for Human Rights.

Doch es ist unklar, ob Nisman wirklich neue Belege hatte, um seine Vorwürfe gegen Kirchner zu untermauern. Die bislang veröffentlichten Unterlagen scheinen wenig herzugeben. Vielleicht gibt es noch mehr – warum sonst sollte die Justiz Nismans Vorwürfe weiter verfolgen? Andererseits war Nismans wichtigste Quelle ein inzwischen abgesetzter Geheimdienstmann, der noch eine Rechnung mit der Präsidentin offen hatte. Wie vertrauenswürdig kann eine solche Quelle sein?

Dass die Geheimdienste Argentiniens nicht erfreut waren über den Politikschwenk weg von den USA, hat Jonathan Watts sehr schön für den britischen Guardian aufgeschrieben. Ist das Ganze also doch nur ein Komplott der Dienste gegen die Präsidentin, wenige Monate bevor Cristinas Amtszeit ohnehin endet? Seit den Zeiten der Diktatur sind die Geheimdienste Argentiniens nicht reformiert worden. Menschenrechtler bezeichnen sie als unkontrollierbar, als „black box“. Sie dienen der jeweiligen Regierung, aber nur, so lange die den Interessen der Dienste nicht in die Quere kommt. Sie beeinflussen Politiker und Richter, und sie überwachen die Opposition. Kirchner will sie jetzt auflösen.

Im Fall Nisman gehen die Ermittler immer noch von einem Suizid aus. Am kommenden Mittwoch, genau einen Monat nach seinem Tod, planen Staatsanwälte und Oppositionspolitiker einen Schweigemarsch in Buenos Aires zu Nismans Gedenken. Einen Twitter-Hashtag dazu gibt es jetzt schon: #18F. Die Präsidentin wird an diesem Tag möglicherweise nicht in Buenos Aires sein. Derzeit hält sie sich in ihrer Heimatprovinz in Südargentinien auf.