Man nennt sie auch frontier markets, Grenzmärkte. Gemeint sind Länder, in denen die Rahmenbedingungen für Investoren nicht so sicher sind wie in den Industrieländern, die aber mindestens so stabil sind, dass sie Geschäfte erlauben. Frontier markets sind Entwicklungsländer, die den Status eines Schwellenlands noch nicht erreicht haben.

Der Begriff klingt ein wenig nach Wildem Westen, und vermutlich ist das kein Zufall. Tatsächlich werden in vielen frontier markets Geschäfte oft ohne Rücksicht auf die lokalen Einwohner abgeschlossen, und die Rechte ortsansässiger indigener Gemeinschaften scheinen besonders wenig ernst genommen zu werden.

Die Umweltorganisation Rights and Resources Initiative RRI hat untersucht, wie in acht ausgewählten frontier markets und Schwellenländern Konzessionen zur Landnutzung vergeben werden. Alle acht befinden sich in den Tropen; drei davon liegen in Lateinamerika: Peru, Kolumbien und Brasilien. Es sind Schwellenländer, aber der Wilde Westen herrscht auch dort.

In allen acht Ländern, die drei Lateinamerikaner eingeschlossen, werden Konzessionen an Bergbau- und Ölkonzerne, Holzfäller und landwirtschaftliche Unternehmen vergeben, obwohl Menschen auf dem dann ausgebeuteten Land leben. RRI schreibt, dass das Land in 93 Prozent der untersuchten Fälle besiedelt war. Es handelt sich um enorme Flächen: Dem Report zufolge sind 40 Prozent der Landfläche Perus bereits durch Konzessionen an Unternehmen vergeben worden, die dort entweder Holz fällen, Bergbau betreiben oder nach Öl und Gas bohren wollen.

Wenn die Regierungen das Land, die Wälder und andere natürlichen Ressourcen verkaufen, obwohl Menschen dort leben, werden lokale Konflikte unvermeidbar. Dabei könnten alle diese Konflikte – und das finanzielle Risiko, dem Investoren sich gegenübersehen – verhindert werden,

sagt RRI-Koordinator Andy White (meine Übersetzung). Das heißt, die Konflikte wären vermeidbar, wenn die Konzerne und Regierungen die Rechte der auf dem Land lebenden Menschen respektierten und mit ihnen verhandelten, wie es zwischen gleichberechtigten Vertragsparteien üblich ist. Statt dessen, so schreibt RRI, würden die Leute oft erst informiert, wenn das Geschäft schon beschlossene Sache sei. Oder man verhandele mit ihnen nur zum Schein. Im Glauben, Gesetze würden ohnehin nicht durchgesetzt, respektierten die Investoren die Regeln auch häufig nicht.

Die Organisation berichtet von zwei Fällen in Peru und Brasilien, in denen das für die Unternehmen schief ging (meine Übersetzung).

Die Regierungen von Brasilien und Peru vereinbarten, zwei Dämme am Ene-Fluss zu bauen, in der Amazonasregion Perus, ohne die Zustimmung der Ashaninka, die in dieser Region lebten. Durch die Dämme wären 8.000 bis 10.000 Menschen vertrieben worden. Das löste Proteste und Unruhen aus, die drei Jahre dauerten, bevor das Projekt endlich auf Eis gelegt wurde.

Der zweite Fall beschreibt die Missachtung bestehender Gesetze.

In Santiago de Chuco, Peru, bewiesen lokale Organisationen, dass eine durch Barrick Gold betriebene Mine ihre Trinkwasserreserven verschmutzte. Sie zwangen das Unternehmen, Millionen Dollar auszugeben, um das Problem anzugehen. Die Anwälte erregten landesweit Aufsehen, und Barrick war gezwungen, die Abschätzung der Umweltfolgen für das Projekt anzupassen. Der Betrieb ruhte deshalb acht Monate lang.

Wahre Entwicklung müsse alle Beteiligten einschließen, erklärt White, der Umweltschützer. Fast überall auf der Erde lebten inzwischen Menschen, so gut wie kein Flecken sei mehr unbewohnt. Die Botschaft von RRI: Es ist auch im Interesse der Konzerne, die Anwohner fair zu behandeln.

Ich würde allerdings bezweifeln, dass Verhandlungen mit der lokalen Bevölkerung alle Konflikte vermeiden könnten. Das würde voraussetzen, dass sowohl Konzerne als auch die Regierungen von Schwellen- und Entwicklungsländern bereit sind, auf ein Geschäft zu verzichten, falls die Anwohner ihre Zustimmung nicht geben. In der gegenwärtigen Welt, in der die Ausbeutung ihrer natürlichen Rohstoffe für viele dieser Staaten die einzige Entwicklungsmöglichkeit zu sein scheint, ist das schwer vorstellbar.