Sieben Uhr abends kolumbianischer Zeit, so gut wie alle Stimmen der Präsidentschaftswahl sind ausgezählt. Das Ergebnis ist überraschend klar: Óscar Iván Zuluaga, Kandidat der Ultrarechten und – als Sprachrohr seines Mentors Álvaro Uribe – erbitterter Gegner des Friedensprozesses, hat gewonnen.

Etwas mehr als 29 Prozent stimmten für Zuluaga, nicht einmal 26 Prozent für Santos. In einer Stichwahl am 15. Juni entscheidet sich, wer von beiden der nächste Präsident Kolumbiens sein wird. Die drei anderen Kandidaten sind raus: Die Konservative Marta Lucía Ramírez und die Linke Clara López mit jeweils etwas mehr als 15 Prozent, der Grüne Enrique Peñalosa mit nur acht Prozent. Ihm hatte man deutlich mehr zugetraut; manche sagen, das schlechte Ergebnis könnte das Ende seiner politischen Karriere sein.

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Die Wahlergebnisse auf der Internetseite der Tageszeitung El Tiempo (eltiempo.com). Zum Vergrössern bitte klicken.

Sechs Prozent der Stimmen waren ungültig. Besonders erschreckend: Nur 40 Prozent der Kolumbianer haben überhaupt gewählt. Das scheint hier die übliche Wahlbeteiligung zu sein.

Die Karte links zeigt, wie groß die Zustimmung zu Zuluaga in weiten Regionen des Landes ist. Blau sind Wahlkreise, in denen Uribes Kandidat gewonnen hat. Orange gefärbt sind die Regionen, in denen die Mehrheit für Santos gestimmt hat: die Karibik- und Pazifikküste, die Amazonasregion, die Grenzgebiete zu Ecuador, Peru und Brasilien. Das Balkendiagramm zeigt das Wahlergebnis in der Hauptstadt Bogotá, auch hier hat Zuluaga klar gewonnen. Der gelbe Balken steht übrigens nicht für die Wirtschaftsliberalen, sondern für die Linke Clara López, die für die Partei von Gustavo Petro antritt, des Bürgermeisters von Bogotá.

Haben die Wähler gegen den Friedensprozess gestimmt? Santos hatte die Verhandlungen mit der FARC-Guerilla jedenfalls zum zentralen Thema seines Wahlkampfs gemacht:

Das, was mein Land am dringendsten braucht, ist der Frieden. Wir leben seit 50 Jahren im Krieg. 50 Jahre, in denen wir uns gegenseitig umbringen, als Brüder einer Nation,

sagte er vor kurzem im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Aber der Friedensprozess ist verzwickt. Während in Havanna verhandelt wird, kämpfen FARC und Regierungstruppen in Kolumbien weiter gegeneinander, und die kleinere Guerilla ELN nimmt noch nicht einmal an den Friedensgesprächen teil. Uribe und Zuluaga sind strikt gegen solche Verhandlungen. Mit dem Thema haben sie den Wahlkampf bestritten.

Ganz offensichtlich haben sie dabei auch zu unlauteren Mitteln gegriffen – und die Wähler haben sie dafür belohnt. Uribe gilt als geschickter Manipulator der öffentlichen Meinung. Er lanciert Kampagnen gegen seine Gegner, ohne seine Vorwürfe belegen zu können. Aber irgendwas bleibt eben immer hängen.

Uribe und seine Leute polarisieren das Land und schüren die Angst der Wähler: Angst vor dem Kommunismus, vor dem Chavismus Venezuelas, davor, dass Kolumbien nach einem Friedensschluss mit den FARC in die Hände der Linken fällt. Wie sie das tun, zeigt beispielhaft der Tweet einer Abgeordneten aus Uribes Partei, die ihm sehr nahesteht. Sie dankte per Twitter „Gott dem Allmächtigen, dem kolumbianischen Volk und Expräsident Uribe, dass sie das Vaterland nicht in die Hand des atheistischen Kommunismus fallen lassen. Amen.“

Viele haben aber auch Angst vor Uribe: Vor seiner Unversöhnlichkeit, seinem Klammern an der Macht und seiner Unfähigkeit, mit dem politischen Gegner sachlich umzugehen. Sie fragen sich, ob mächtige Interessen durch ihn die Friedensverhandlungen torpedieren. Und sie befürchten schwierige Zeiten, sollte sein Mann tatsächlich Präsident werden.

Eduardo Salcedo-Albarán, ein kolumbianischer Philosoph und Soziologe, der erforscht, wie illegale Netzwerke (zum Beispiel Drogenkartelle) die Staaten zersetzen, in denen sie arbeiten, schreibt mir:

In einem anderen Land wäre ich (über dieses Ergebnis) enttäuscht oder traurig. Aber in Kolumbien habe ich richtig Angst. Millionen haben den Uribisten geglaubt, dass das Land durch die Friedensverhandlungen in die Hände der Guerilla fallen wird. Dass es totale Straflosigkeit geben wird, und dass der ‚Castro-Chavismo‘ gewinnt. Das ist Fanatismus. In Wahrheit ist auch Santos ein absoluter Oligarch.

Als der Präsident vor seine Anhänger tritt, empfangen die ihn mit Jubel und „Sí se puede“-Sprechchören: Yes, we can. Man wird sehen, ob das mehr ist als Zweckoptimismus.