Die römisch-katholische Kirche spielt in Lateinamerika schon immer eine besondere Rolle. Mehr als 80 Prozent der Lateinamerikaner sind katholisch. Hier entstand die Befreiungstheologie; aber es gibt auch eine starke konservative Strömung, die in manchen Ländern die Militärdiktaturen der 70er und 80er Jahre stützte.
Ich war heute in einem besonderen Gottesdienst, mitten in Bogotá.
Das Viertel Voto Nacional liegt nur wenige Straßenzüge vom Präsidentenpalast entfernt, aber es ist keine besonders schöne Gegend. Für manche Bogotanos ist es einfach das Viertel, in dem sie wohnen; ihre alltägliche Nachbarschaft.
Bekannt ist Voto Nacional aber durch seine Läden, in denen Bogotás Händler ihren Bedarf decken – und zwar nicht die Hochglanzgeschäfte der Shopping Malls. Wer hier einkauft, betreibt vielleicht als Einzelkämpfer eine Werkstatt, einen Kiosk, oder schlägt sich als Straßenhändler durch. Die nahe Busstation in der Avénida Jiménez ist immer voll von schwer bepackten Passanten. Manche können ihre Last kaum tragen. Dann schleifen sie ihre Einkäufe einfach in Säcken hinter sich her.
Im Viertel steht die Kirche zum Heiligen Herzen Jesu. In den Straßen um sie herum leben die obdachlosen Drogensüchtigen von Bogotá. Die Junkies schnüffeln Klebstoff – der ist besonders billig -, sie rauchen Crack oder nehmen andere Kokain-Derivate. Manche versetzen die Drogen mit Pulver aus zerkratzten Ziegelsteinen oder mit Mehl. Auch wegen ihnen ist Voto Nacional keine sichere Gegend. Wer hier mit dem Auto unterwegs ist, verriegelt die Türen und achtet darauf, selbst an roten Ampeln Manövrierraum zu behalten – zu leicht werden sonst die Außenspiegel oder der Tankdeckel geklaut; oder was auch immer ein paar Pesos für frischen Stoff einbringen könnte.
Die Kirche aber ist wie eine Oase. Jeden Sonntag um neun hält Padre Darío Echeverri hier die Messe. Er hatte mich eingeladen. Daríos Platz während des Gottesdienstes wäre in dem Gebäude eigentlich schon durch die Architektur vorgegeben: hinter dem Altar oder zumindest im Altarraum, ein paar Stufen über der Gemeinde, und durch ein Geländer noch zusätzlich von den Leuten im Kirchenschiff getrennt.
Aber dieser Pfarrer wahrt keine Distanz. Er öffnet die Tür zum Altarraum und erlaubt den herumlaufenden Kindern den Zutritt. Ein Junge, gerade so groß wie der Altar hoch, stellt sich neben den Priester und verfolgt neugierig dessen Handgriffe – der begrüßt ihn herzlich mit einem festen Druck auf die kleine Schulter. Darío predigt und singt im Kirchenschiff, er umarmt die Leute und schüttelt ihre Hände, und er stellt seiner Gemeinde Fragen, statt sie zu belehren. Die applaudiert ihm dafür nach seiner Predigt.
Eine Combo ecuadorianisch-kolumbianischer Quechua-Musiker spielt dazu live. Es ist wie ein fröhliches Familienfest.
Ganz besonders gefeiert werden heute, am Muttertag, die Mütter. Zum Ende der Messe bittet Darío sie alle nach vorn an den Altar. Manche gehen nur zögerlich, aber nach und nach treten die Frauen aus ihren Bänken, bis sich schließlich fast die halbe Gemeinde um den Altar drängt. Im Gewimmel werden rote Rosen verteilt. Strahlende Gesichter. Ein wenig von dem Glanz nehmen die Leute wohl mit nach draußen, in ihren alltäglichen Überlebenskampf.
[…] und ist Sekretär der kirchlichen Kommission für nationale Versöhnung. In seiner Kirche ist er der Pfarrer der Armen. In einem Land wie Kolumbien, wo die großen sozialen Unterschiede die Wurzel des jahrzehntelangen […]